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1984

1984

Titel: 1984 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: George Orwell
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auch nur herzukommen, und reiner Wahnsinn, gemeinsam zu kommen, wenn sie auch getrennte Wege eingeschlagen und sich erst vor O'Briens Haustür getroffen hatten. Aber allein schon an einen solchen Ort zu gehen, erforderte den Mut der Verzweiflung. Nur bei höchst seltenen Gelegenheiten konnte man einen Blick in die Wohnungen der Inneren-Partei-Mitglieder werfen oder auch nur einen Fuß in das Stadtviertel setzen, in dem sie wohnten. Die ganze Atmosphäre des riesigen Wohnblocks, die Pracht und die Ausmaße von allem, die ungewohnten Gerüche nach gutem Essen und gutem Tabak, die geräuschlosen und unglaublich rasch auf und ab gleitenden Aufzüge – alles das war einschüchternd. Obwohl er einen triftigen Vorwand für sein Kommen hatte, wurde er bei jedem Schritt von der Furcht verfolgt, ein schwarz uniformierter Wachposten könnte plötzlich um die Ecke biegen, seinen Ausweis verlangen und ihn hinausweisen. O'Briens Bedienter hatte jedoch die beiden ohne weitere Umstände hereingelassen. Er war ein kleiner, dunkelhaariger Mann in weißer Jacke, mit einem rautenförmigen, vollkommen ausdruckslosen Gesicht, das einem Chinesen hätte gehören können. Der Korridor, durch den er sie führte, war mit einem weichen Läufer belegt, die Wände waren cremefarben tapeziert und weiß getäfelt, alles glänzte vor makelloser Sauberkeit. Auch das war einschüchternd. Winston konnte sich nicht erinnern, jemals einen Flur gesehen zu haben, dessen Wände nicht durch die Berührung menschlicher Körper verschmutzt waren.
    O'Brien hielt einen Zettel in Händen und schien ihn aufmerksam zu studieren. Sein massiges Gesicht, das heruntergebeugt war, so daß man die Nasenlinie nicht sehen konnte, sah zugleich furchteinflößend und klug aus. Vielleicht zwanzig Sekunden lang saß er unbeweglich da. Dann zog er den Sprechschreiber zu sich heran und machte in dem hybriden Jargon der Ministerien eine Durchsage:
    »Punkt eins Komma fünf Komma sieben vollweise gebilligt Stop Vorschlag von Punkt sechs doppelplus lächerlich betreffs Denkverbrechen streicht Stop unsofort plusvoll Unterlagen abwartweise Maschinerie oben Stop Ende.«
    Er erhob sich bedächtig von seinem Stuhl und kam über den lautlosen Teppich auf sie zu. Ein wenig von der Beamtenatmosphäre schien mit den Neusprachworten von ihm abgefallen zu sein, aber sein Gesichtsausdruck war finsterer als gewöhnlich, so als wäre es ihm nicht erwünscht, gestört zu werden. Zu der Furcht, die bereits von Winston Besitz ergriffen hatte, kam plötzlich noch so etwas wie ganz gewöhnliche Verlegenheit hinzu. Es schien ihm durchaus möglich, daß er ganz einfach einen dummen Irrtum begangen hatte. Denn welchen Beweis hatte er in Wirklichkeit, daß O'Brien ein politischer Verschwörer war? Nur einen getauschten Blick und eine einzige zweideutige Bemerkung: darüber hinaus lediglich seine eigenen, auf einen Traum gestützten Hoffnungen. Er konnte nicht einmal zu dem Vorwand Zuflucht nehmen, gekommen zu sein, um das Wörterbuch zu entlehnen, denn in diesem Fall war es unmöglich, Julias Anwesenheit zu erklären. Als O'Brien am Televisor vorbeikam, schien ihm etwas einzufallen. Er blieb stehen, machte einen Schritt zur Seite und drehte an einem an der Wand angebrachten Knopf. Man hörte ein kurzes Knacken. Die Stimme war verstummt.
    Julia stieß einen kurzen Laut, eine Art überraschtes Quieken aus. Trotz aller seiner Ängste war Winston zu verblüfft, um den Mund halten zu können.
    »Sie können ihn ja abstellen!« sagte er.
    »Ja«, sagte O'Brien, »wir können ihn abstellen. Wir haben dieses Vorrecht.«
    Er stand jetzt vor ihnen. Seine mächtige Erscheinung überragte die beiden, und der Ausdruck seines Gesichts war noch immer undurchdringlich. Er wartete, ein wenig streng, daß Winston sprechen sollte, aber was sollte dieser schon sagen? Sogar jetzt noch war es undenkbar, daß der andere nur ein vielbeschäftigter Mann war, der sich ärgerlich fragte, warum man ihn gestört hatte. Niemand sprach. Nachdem der Televisor abgestellt war, schien in dem Zimmer eine tödliche Stille zu herrschen. Mit erdrückender Langsamkeit verstrichen die Sekunden. Krampfhaft hielt Winston seinen Blick weiter in den O'Briens gerichtet. Dann verzog sich das grimmige Gesicht plötzlich zu dem, was man den Anflug eines Lächelns hätte nennen 76
    George Orwell – 1984
    können. Mit seiner charakteristischen Bewegung rückte O'Brien seine Brille auf der Nase zurecht.
    »Soll ich es sagen oder wollen Sie?« sagte

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