1986 Das Gift (SM)
absteigen, und dabei bekam das schwere Fahrrad linksseitig Übergewicht. Es entglitt seinen Händen und fiel zu Boden. Selbst jetzt hätte er noch eine Chance gehabt, wenn der Pförtner ein weniger hilfsbereiter Mensch gewesen wäre. Aber der machte sich sogleich daran, das Fahrrad aufzuheben. Obwohl Federico mit anpackte, blieb das ungeheure Gewicht dem Pförtner nicht verborgen. Er begriff den Zusammenhang und machte Meldung.
Noch einmal lächelte Leo über den kleinen mißglückten Coup. Er schwor sich, bei seinem eigenen Unternehmen auch nicht das geringste Risiko einzugehen.
14.
Sie hatten Cuautla gegen acht Uhr verlassen, dabei aber nicht die kürzere Südwest-Route über Jojutla eingeschlagen, sondern sich nordwestlich gehalten, um früher auf die Autobahn zu gelangen. Leo hatte seinem Landsmann Cuernavaca gezeigt, den Ort, an den er sich zurückziehen und an dem er bleiben wollte, bis Gras über die Sache gewachsen war. Von Cuernavaca aus waren sie ohne weiteren Stopp durchgefahren bis Iguala, hatten dort gegen halb zwölf zu Mittag gegessen und waren dann zur letzten Etappe aufgebrochen. Nun fuhren sie schon wieder eine knappe Stunde, durchquerten den cañón in der Glut der Mittagshitze.
Die carretera war wenig befahren. Raúl hatte zwar seine Weste ausgezogen, doch auf seinem Gesicht stand kein einziger Tropfen Schweiß. Leo und Richard dagegen schwitzten. Obwohl sie längst mit freiem Oberkörper fuhren, war ihre Haut naß wie nach einem Bad. Das kleine Thermometer am Armaturenbrett zeigte 44 Grad an.
»In zwei Stunden springe ich in euer Schwimmbad!« sagte Raúl. Leo nickte nur, und Richards Antwort beschränkte sich auf ein müdes »Ich auch«. Ein ums andere Mal griffen die beiden Deutschen nach der Flasche mit dem Eiswasser, tranken gierig und schwitzten hinterher um so mehr. Sie trugen Sonnenbrillen. Trotzdem taten ihnen die Augen weh, so gleißend hell war alles ringsum. Es gab kein Grün.
»Hier möchte ich nicht begraben sein«, sagte Raúl, und als keine Antwort kam, fügte er hinzu: »Und leben möchte ich hier erst recht nicht.« Danach herrschte für eine Viertelstunde Schweigen. Schon das bloße Dasitzen in der Hitzehülle der Fahrerkabine, auf dem heißen Lederpolster, war anstrengend. Wozu da also noch reden, zumal niemand zuhören mochte?
Es lag auf der Hand, daß Raúl, dem die hohe Temperatur noch am wenigsten zusetzte und der, weil er den Wagen lenkte, seine Sinne beieinanderhalten mußte, den kleinen hellbraunen Fleck als erster sah. Und da sein Blick auf kleine, plötzlich die Landstraße belebende hellbraune Flecke geeicht war, wußte er das Gesehene sogleich zu deuten. Nach wenigen Sekunden war es denn auch kein Fleck mehr, sondern ein mordelón , ein »Beißer«, ein khakifarben gekleideter Polizist auf einem khakifarbenen Motorrad.
»Visita«, sagte Raúl. Besuch. Dann fügte er hinzu: »Aber er fährt in der anderen Richtung, kommt uns entgegen.«
Leo und Richard sahen auf den Motorradfahrer, der inzwischen so nah herangekommen war, daß sie Einzelheiten wie die Sonnenbrille und das schwarze Haar und den am Lenker hängenden braunen Helm erkennen konnten. Und sie sahen auch, daß der Mann seine Geschwindigkeit drosselte, was ihnen gar nicht gefiel.
Nun war er heran und vorbei. Raúl blickte in den Rückspiegel. »Verdammt, er macht kehrt!«
Mit Beklommenheit beobachteten die drei, daß der Polizist sie überholte, seine Maschine nach rechts hinüberschwenkte, noch ein Stück weiterfuhr, schließlich stoppte, das Krad aufbockte und abstieg. Dann winkte er mit seiner behandschuhten Rechten. Raúl bremste, hielt an. Der Braune trat zu ihm ans Fenster.
»Buenos días, señores!«
Die drei erwiderten den Gruß. Raúl griff hinter sich und nahm die Papiere vom Bord, hielt sie hinaus.
»Danke, später! Fahren Sie bitte ein Stück weiter. Rechts neben der Fahrbahn ist ein Platz, an dem Sie parken können. Dahin folgen Sie mir!«
Das klang nicht gut, und so erwiderte Raúl: »Muß das sein? Wir haben es sehr eilig, sind schon drei Stunden verspätet.«
»Es muß sein.«
Raúl legte den ersten Gang ein und folgte dem Motorrad. Nach etwa dreihundert Metern kam die Ausfahrt, keine asphaltierte, sondern nur die mit Sand und Schotter bedeckte Zufahrt zu einer Baustelle, auf der jedoch niemand arbeitete. Neben einem gewaltigen Kieshaufen wartete der mordelón . Der Laster hielt an, und die drei stiegen aus. Raúl hatte schon wieder seine Papiere in der Hand, aber der andere wollte sie
Weitere Kostenlose Bücher