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1986 Das Gift (SM)

1986 Das Gift (SM)

Titel: 1986 Das Gift (SM) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hinrich Matthiesen
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kein Hauch verpesteter Luft ihn erreichen. Wenn der Spuk vorbei ist, hole ich dich zurück.«
»Ich möchte nicht, Paul, es sei denn, ich bin dir im Weg.«
»Wenn ich jetzt der große Liebende im Kino wäre, würde ich dir antworten: Ja, du bist mir im Weg! Damit würde ich’s schaffen, dich von hier wegzubringen. Aber ich bin bloß der Liebende von Acapulco, vom REFUGIO. Und darum sage ich dir in all meiner Schwäche: Wie könntest du mir je im Weg sein!« Er umarmte und küßte sie. »Es wird alles wieder gut«, sagte er dann.
»Meinst du damit, daß sie irgendwann aufgeben?«
»Nein, dazu haben sie zu viel investiert. Ich hab’ ja die Funkanlage im Zimmer 1610 gesehen. Dazu kommen die sechs Lautsprecher. Dann die Sprengladungen, und wenn sie per Funk gezündet werden, müssen auch sie mit teuren Anlagen versehen sein. Weiter: die Dioxinfässer. Bestimmt mit diversen Extras. Und das Dioxin selbst holt man sich ja auch nicht mal eben aus der Drogerie. Na, und vor allem die Yacht! Wer so viel Geld in ein Unternehmen steckt, der will unbedingt den Erfolg. Aufgeben werden sie also mit Sicherheit nicht.«
»Und wieso glaubst du, es geht trotzdem gut aus?«
»Ich nehme an, es wird unseren Leuten gelingen, die Summe drastisch herunterzuhandeln. Fünfundsechzig Millionen wollen sie haben, aber wenn sie merken, daß wir – sagen wir mal – auf Biegen oder Brechen nicht über zwanzig Millionen hinausgehen, dann werden sie sich damit begnügen. Für uns wäre das ein Erfolg und für sie kein Fiasko. Ich schätze, es sind acht bis zehn Leute. Jeder hätte also ungefähr zwei Millionen Dollar und wäre ein König. Genau das werden sie sich überlegen, und darin liegt unsere Chance.«
»Und wenn du dich irrst? Wenn sie anders sind? Fanatiker vielleicht, die sich nicht umstimmen lassen? Paul, was weißt du über Dioxin? Ich hab’ so viel Widersprüchliches darüber gehört. Was passiert mit dieser Stadt, mit den Menschen, den Tieren, den Häusern, mit deinem Hotel zum Beispiel, wenn sie die Fässer in die Luft jagen? Ist die Gefahr wirklich so groß, wie sie sagen, oder übertreiben sie? Wie denken deine Kollegen?«
»Unterschiedlich. Einer meinte, das Gift, das im vorigen Jahr in Bhopal ausströmte, sei viel gefährlicher als Dioxin. Ein anderer, der aus Italien stammt und über das Unglück von Seveso genau Bescheid weiß, weil er damals gerade drüben war, drehte fast durch, als ich mit ihm telefonierte. Wahrscheinlich kommt er zu spät zu unserer Konferenz. Er will erst mal seine Familie in die Hauptstadt bringen. Er hat ein eigenes Flugzeug. Also, der meinte sogar, wir sollten bloß nicht anfangen zu feilschen, sondern sofort zahlen, die ganze geforderte Summe. Ich bin gar nicht sicher, ob ich ihn mir rechtzeitig zurückwünsche, denn solche Stimmen erschweren natürlich die Beschlüsse. Für ihn ist es ein leichtes zu sagen: ›Wir zahlen, was sie verlangen!‹ Denn ihm gehört das Hotel nicht; er leitet es bloß.«
»Von denen gibt’s doch bestimmt viele bei euch; Männer, die zwar die Verantwortung für so einen Betrieb haben, aber bei einer Katastrophe wie dieser nicht persönlich betroffen sind. Finanziell, meine ich. Die Manager der großen Hotelketten zum Beispiel. Das könnte dir einen schweren Stand schaffen.«
»Ich glaube nicht. Bei dem Italiener ist es was anderes, weil er Seveso aus der Nähe miterlebt hat. Aber die meisten werden, genau wie ich, eine ungeheure Wut empfinden, Wut darüber, daß diese Ganoven glauben, so mit uns umspringen zu können.«
Er nahm sein Fernglas vom Schreibtisch auf und ging hinaus auf den Balkon. Petra folgte ihm. Noch war der Tag nicht da. Es war kurz vor fünf Uhr. Unten in der Stadt brodelte es von Aufbruch.
Er setzte sein Glas an die Augen, sah aufs Wasser. »Da liegt es«, sagte er, »das Mörderschiff, illuminiert wie zu einer Bordféte. Leider hat unser Admiral recht: Wir können sie nicht einfach mit einer Salve erledigen, denn die würde auch uns erledigen. Aber wenn wir gezahlt haben, und seien es nur zwanzig Millionen, und der Alptraum ist vorbei, dann … ich glaube, dann lege ich das REFUGIO für eine Weile in die Hände meiner Eltern und in die von Manolo und mache mich auf den Weg. Auf die Suche nach ihnen. Ja, ich glaube, das werde ich tun.«
»Aber du hast doch bestimmt keine Erfahrung, weißt nicht, wie und wo man nach solchen Leuten sucht.«
»Ich werde es lernen!«

6.
    Es war früher Nachmittag, und der Zustand der Bedrohung ging in die zwölfte Stunde.

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