1986 Das Gift (SM)
Grund genug, die Gefahr als außerordentlich ernst anzusehen. Wir wissen zwar nicht, wie viele Fässer hier lagern, ja, wir wissen nicht einmal, ob diese Fässer wirklich existieren, aber wenn es sie gibt und ihr Inhalt freigesetzt wird, ist der Schaden, abgesehen von der gesundheitlichen Gefährdung der Menschen, unermeßlich hoch. Ich bin kein Wirtschaftsexperte, aber ich könnte mir vorstellen, daß selbst fünfundsechzig Millionen Dollar ein Trinkgeld sind im Vergleich zu dem, was Sie einbüßen, wenn solche Dioxin-Mengen in Ihre Häuser und in Ihren Boden gelangen. Und die Gefahr bleibt natürlich nicht auf Acapulco beschränkt. Jedes Auto, jedes Schiff, jedes kleine Motorboot, ja, alle Personen, die nach Freisetzung des Dioxins die Stadt verlassen, können das Gift hinausschleppen. Ich erinnere an den grotesken Vorfall, den es an unserer nördlichen Grenze gegeben hat. Die Sache mit dem Kobalt-Gerät, das bei einer Schrottfirma landete, in deren Nähe große Mengen von Stahlträgern lagerten. Sie wurden radioaktiv und gingen ins Land. Man verwendete sie zum Bau und arbeitete damit das Gift auf ewig in die Häuser ein. Nun suchen Sie mal in unserer großen Republik nach diesen Häusern! Es sollen etwa achthundert sein. Aber auch auf eine andere Weise hat die verdammte Kobalt-Kanone ihre Radioaktivität übers Land verteilt. Sie ging nämlich kaputt, und die kleinen Perlen waren bald verstreut. Sie klemmten sich in die Profilnischen der Autoreifen, und los ging die Reise! Ich will damit nur sagen: Die hermetische Abgrenzung einer Millionenstadt ist eine Illusion. Wenn sie dennoch – allen realen Widerständen zum Trotz – gelänge, wäre ja immer noch die Stadt selbst verloren. Denken Sie daran: Jetzt erst, nach mehr als zehn Jahren, beginnt eine vorsichtige Rücksiedlung der Bewohner von Seveso, und das auch erst, nachdem man die Oberfläche des verseuchten Areals abgetragen hat, an manchen Stellen um mehr als einen Meter! Selbst wenn wir also eine spätere Wiederbesiedlung von Acapulco und einen Neubeginn des Tourismus für möglich halten, der Gesamtverlust wäre unermeßlich hoch. Darum meine ich, die fünfundsechzig Millionen müssen gezahlt werden, falls es wirklich ernst werden sollte.«
In den Gesichtern der Zuhörer spiegelte sich tiefe Niedergeschlagenheit. Es herrschte ein längeres Schweigen, aber schließlich fragte Garcia den Chemiker:
»Gibt es nicht ein Instrument, mit dem die Fässer sich aufspüren lassen? So eine Art Geigerzähler für dioxinverseuchte Stoffe? Dann könnten wir damit die ganze Stadt …«
Doch Peralta winkte ab. »Gibt es nicht«, erklärte er. »Nach Dioxin zu suchen, ist außerordentlich schwierig. Professor Ballschmiter von der Universität Ulm, einer der führenden westeuropäischen Chemiker, hat es mal sehr treffend formuliert. Sinngemäß sagte er, wenn man Dioxin aufspüren wolle, sei das nicht wie die sprichwörtliche Suche nach der Stecknadel im Heuhaufen, sondern eher so, als suche man in diesem Heuhaufen nach Gräsern einer ganz bestimmten Länge, wobei aber nicht vorausgesetzt werden könne, daß sie überhaupt da seien. Diese Aussage gilt zwar nicht für den ppm-, sondern für den ppt-Bereich, also für Ultraspuren, das heißt, für winzig kleine Mengen. Dennoch, glaube ich, gibt Ihnen das Beispiel ein Bild von der Schwierigkeit. Um es noch einmal ganz deutlich zu sagen: Suchen hat keinen Zweck.«
Der Polizeichef sah den Oberst an. »Können Ihre Spezialisten nicht irgendwas machen? Es gibt doch bewährte Methoden, gekaperte Flugzeuge und auch Schiffe zu entern. Oder wäre es vielleicht sinnvoll, die deutsche GSG 9 herbeizurufen? Sie gilt als die beste Spezialeinheit Europas, das heißt, zur See sollen die Engländer noch mehr auf dem Kasten haben.«
Jetzt sahen alle auf Cobarrubia, aber sein Gesicht machte ihnen nicht viel Hoffnung, und seine Anwort tat es auch nicht:
»Im Prinzip haben Sie recht. Man kann heute mit ausgeklügelten Manövern und einer Spezialtruppe Hijacker ausschalten. Aber was im Prinzip richtig ist, ist nicht auf jeden Einzelfall anwendbar. Ich habe die Situation mit meinen Männern durchgesprochen. Alle sehen, wie ich, die Sache sehr skeptisch. Das geräuschlose Entern eines Schiffes ist von unserer Einheit oft geprobt worden, und ich würde keine Sekunde zögern, diesen Einsatz anzuordnen, wenn … ja, wenn die Umstände etwa so wären wie im vergangenen Jahr bei der ACHILLE LAURO oder wie 1961 bei der SANTA MARIA. In beiden Fällen
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