1986 Das Gift (SM)
handelte es sich um Passagierdampfer, um große Schiffe also, die sich auf hoher See befanden. Der Italiener kreuzte mit den Piraten an Bord im Mittelmeer, und der Portugiese irrte zwölf Tage lang im Atlantik umher. Das sind völlig andere Bedingungen. Da kann man mit Hubschraubern Froschmänner im Meer absetzen, weit entfernt vom Objekt. Dann folgt das Antauchmanöver und dann das Emporklettern an den Bordwänden mit Hilfe von Haftmagneten. Aber uns fehlt beides, das weite Meer und das große Schiff. Statt dessen haben wir die kleine Bucht und die Nußschale.«
»Die Taucher«, warf Garcia ein, »könnten Sie doch draußen vor der Bucht absetzen. Dafür brauchten Sie nicht mal einen Hubschrauber, ja, die Männer könnten ihre Aktion sogar innerhalb der Bucht starten, zum Beispiel vom Hafen aus oder auch vom Yachthafen. Mit Sicherheit kämen auch etliche Privatgrundstücke in Frage, die einen unbemerkten Einstieg ins Wasser ermöglichen.«
»Das ist nicht das Problem«, antwortete der Oberst. »Das Problem ist der zwischen der Yacht und den Dioxinfässern bestehende Kontakt. Wenn der nicht wäre, brauchten wir nicht einmal Froschmänner, sondern könnten die Yacht von der Base Naval aus versenken, könnten jeden Überraschungsangriff fahren oder auch aus der Luft kommen. Die Gangster wären rettungslos verloren. Aber sie haben nun mal den Finger am Knopf. Das ist unser Handicap. Damit scheidet jeder Überraschungsangriff aus. Was immer wir auch täten, wir wären es dann selbst, die die Fässer in die Luft jagten. Außerdem haben sie ja auch noch den verlängerten Arm, nämlich ihre Leute an Land! Ihr Coup, das muß man den Kerlen lassen, ist von der Strategie her ein Glanzstück. Übrigens, der Speerkranz wäre für Kampfschwimmer wirklich ein Hindernis. Und daß die Yacht in einem Lichtring liegt, ist auch äußerst raffiniert. Normalerweise bleiben Erpresser im Dunkel. Diese aber strahlen sich an! Sie haben es gar nicht nötig, sich zu verstecken, weil auch sie wissen: Ihr stärkster Trumpf ist, daß ihnen immer noch die Zeit bleibt, auf den Knopf zu drücken. Der Knopf, meine Herren, ist das eigentliche Übel.«
Und wieder die Betroffenheit, wieder das Schweigen, bis der Mann vom Ministerium für Tourismus, seinem Aussehen nach ein Azteke reinen Geblüts, sich zu Wort meldete:
»Ich habe einen Vorschlag«, sagte er, und schon diese Ankündigung, von der niemand wußte, wohin sie führen würde, hatte etwas Befreiendes.
»Los, los!« sagte der Bürgermeister, und Garcia, der junge Pressesprecher, wollte schon im voraus wissen:
» Hombre , ist er gut, Ihr Vorschlag?«
»Wer weiß? Jedenfalls möchte ich eine, sagen wir mal, strategische Möglichkeit nennen, auf die wir nicht verzichten sollten.« Er zündete sich eine Zigarette an, war aber weit entfernt von dem Versuch, die anderen auf die Folter zu spannen. Aller Blicke hingen an den Lippen des Licenciados .
»Ich weiß nicht viel über Dioxine«, sagte er, »aber auch in meinem Fach, im Tourismus, haben wir natürlich mit Umweltfragen zu tun. Wir hatten neulich ein Symposium über die gefährliche Ballung von Industrieanlagen in unserer Hauptstadt. Da war auch von Dioxin die Rede, und soviel ich mitbekommen habe, fällt es in unseren Fabriken und Abfallverbrennungsanlagen selten an. Wenn aber doch, ist die Konservierung mit einem höchst komplizierten Verfahren verbunden. Was ich sagen will: Ich habe erhebliche Zweifel daran, daß die Fässer tatsächlich existieren. Die Sprengung da oben hinter Santa Cruz hat es zwar gegeben, aber vielleicht diente sie nur einem großangelegten Bluff. Auch wenn weitere Explosionen folgen sollten, wären sie kein Beweis dafür, daß es irgendwann statt des TNT das Dioxin sein könnte. Im Grunde halte ich den ganzen Feuerzauber für ein Einschüchterungsmanöver. Überlegen wir doch mal: Was haben die da draußen auf ihrem Boot denn zur Verfügung? Drohungen! Worte also, Behauptungen. Und weil das ein bißchen wenig ist, haben sie sich gesagt: Wir müssen den acapulqueños irgendwas Drastisches vorführen, müssen ihnen Angst machen. In gewisser Weise ging ihre Rechnung ja auch auf, denn immerhin ist die halbe Stadt auf den Beinen. Also, ich schlage vor, wir verlangen den Nachweis, daß sie das Dioxin wirklich haben. Sie sollen uns eins ihrer Fässer überlassen, damit wir es prüfen können. Es ist zunächst mal eine Frage der Taktik, und darum wende ich mich jetzt an Sie, doctor : Was halten Sie davon?«
Alfonso Reyes, der
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