1986 Das Gift (SM)
vielleicht mehr bewirkt als nur ihr Einverständnis für unsere Zahlung von 21,2 Millionen. Vielleicht hat die Sache noch eine Spätwirkung: Sie wissen jetzt, daß wir den Sprecher für einen Deutschen halten. Sie wissen damit auch, daß der Täterkreis bereits eingeengt ist. Die Gefahr, entdeckt zu werden, ist für sie also größer geworden. Das wird, ja, das muß sie eigentlich veranlassen, zu ihrem Wort zu stehen. Sollten sie irgendwann auf der Anklagebank sitzen, ist es für das Strafmaß von großer Bedeutung, ob sie nach dem Coup die Repressalie aufrechterhalten haben oder nicht. Dieser Umstand ist ihnen mit Sicherheit bekannt. Ich bin überzeugt davon, daß unser Pilot die Sache unbeschadet übersteht und uns gleich nach seiner Freilassung die Standorte telefonisch durchgeben kann.«
Der Bürgermeister sah sich erneut veranlaßt, die Meinung jedes einzelnen einzuholen. Diesmal war die Runde nicht einmütig. Acht waren dafür, der Zusicherung zu trauen; doch der Polizeichef und der Licenciado vom Tourismus-Ministerium wollten unbedingt eine Garantie haben. Erst das Argument, mit dieser Forderung erhöhten sie die Gefahr beträchtlich, bewog sie zum Einlenken.
Garcia drückte die Taste.
»Achtung! Bitte kommen! Ende.«
»Wir hören. Ende.«
»Wir sind einverstanden. Um 21.30 Uhr startet unser Boot vom malecón aus. Helikopter und Flugzeug werden bereitgestellt. Nach der Freilassung des Piloten ist die Stillhaltefrist abgelaufen. Ende.«
»Sehr gut! Aber noch ein Wort zur Warnung. Es hat Entebbe gegeben. Sie wissen, wovon ich spreche? Ende.«
»Natürlich. Ende.«
»Bilden Sie sich nicht ein, Sie könnten es den Männern des israelischen Geheimdienstes nachmachen! Die Situation hier ist eine andere. Wie Sie wissen, sitzt einer von uns ständig am Schalthebel. Sobald Ihr Mann im Motorboot etwas tut, was uns nicht gefällt, fliegt das erste Faß in die Luft. Und sollte eins Ihrer Flugzeuge oder Schiffe doch noch auf uns schießen, so passiert das gleiche. Und schließlich: Wenn Sie uns an der Lagune eine Falle stellen, kommt es ebenfalls zur Katastrophe. Dafür würden unsere Leute an Land sorgen. Dann stirbt Ihre schöne Stadt doch noch den Gifttod. Apropos Gifttod! Hier noch ein Hinweis, damit Sie die Stelle, an der der Hubschrauber uns erwarten soll, leichter finden! Am Ufer der Lagune, ungefähr hundert Meter jenseits des Mangrovengürtels, liegt ein halbversandetes Bootswrack. Auf der Bordwand steht in dicken schwarzen Buchstaben ein Name: Mister Di. Unmittelbar daneben landen Sie! Ende.«
»Mister Di?«
»Es ist eine Abkürzung. Der vollständige Name dieses Herrn lautet: Mister Dioxin. Ende.«
15.
Richard hatte die Wache. Daß sie nur noch zu dritt waren, erschwerte den Dienst. Leo hatte sich nicht für ein Mehr an Stunden entschieden, sondern für die andere Möglichkeit: Statt des Doppelpostens zog nun jeweils nur ein Mann auf. Der allerdings hatte ein erhöhtes Pensum zu leisten, mußte das gesamte 360-Grad-Rund im Auge behalten und außerdem den Monitor kontrollieren.
Leo und Felix saßen in der Kajüte über der Landkarte des Staates Guerrero. Sie befaßten sich mit der zweiten Phase ihrer geplanten Flucht, die sie zunächst einige Kilometer landeinwärts und dann in die Stadt zurückbringen sollte.
Es war halb acht am Abend. Langsam und gleichmäßig rotierte Richard auf dem Drehstuhl, hatte die immer gleichen Bilder vor Augen: das Kap Punta Bruja , den Ortsteil Guitarrón und in ihm das Haus mit den weißen Säulen, die Base Naval , das HOLIDAY INN, das HYATT CONTINENTAL, das REINA DEL PACIFICO und den Farallón del Obispo , dann den Hornos Strand , die Altstadt mit Hafen und Kathedrale, die Halbinsel De Las Playas , die Isla Roqueta , das Kap Punta Grifo , das offene Meer und wieder das Kap Punta Bruja . Und jeweils einmal während dieser mal mit, mal ohne Fernglas betriebenen Rundschau die Unterbrechung: der Blick auf die helle Scheibe des Monitors. Den hätte er gern etwas ausgedehnt, denn nicht selten geschah es, daß ein schlanker, silbern schimmernder Fisch durch das Licht schoß oder auch ein ganzer Schwarm, der dann manchmal, wie auf Kommando, die Richtung änderte und ins Dunkel zurückwich. Aber er durfte sich nicht ablenken lassen, mußte sich losreißen von den possierlichen Spielen, die unter dem Kiel der FLECHA stattfanden, angestrahlt von den Unterwasserscheinwerfern und eingefangen vom Auge der Kamera.
Nun war er wieder bei der Altstadt angekommen, sah die Lichter der Schiffe,
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