1988 VX (SM)
abendlichen Glas Rotwein.«
»Patrick, komm zur Sache!« bat Zayma. »Du wolltest über VX reden.«
»Hast recht. VX ist E 605 hoch fünfzig oder noch mehr. Wie alle Akylphosphate, wirkt es durch die Blockierung der Cholinesterase, und zwar schon bei geringsten Mengen, bei Mengen im Milligrammbereich. Die Betroffenen sehen schlimm aus. Die zwangsläufig eintretenden Lungenödeme sorgen für einen Schaumpilz vor Mund und Nase, und infolge der enormen Gefäßerweiterung entstehen knallige Totenflecken, dunkelrot oder auch blaugrün, und es kommt zu einer extremen Totenstarre, vor allem an den Füßen. Die Zehen ragen wie Fleischerhaken in die Luft. Also, wenn ihr euer Zeug loslaßt, beschert ihr den Medizinern ein Monsterkabinett. Und glaubt ja nicht, daß man helfen kann! Klar kennt man ein paar Sofortmaßnahmen, aber die stehen fast alle nur auf dem Papier. Zum Beispiel haben die Soldaten ihre hübschen – ich glaub’ sogar: abwaschbaren – ABC-Taschenkarten. Auf denen steht alles, was die Ärmsten machen müssen, falls sie es mal mit einer solchen Kampfstoffwolke zu tun haben. Da heißt es: Teilschutz herstellen, Schutzanzug anlegen, automatische Spritzampulle bereithalten und so weiter! Das müssen sie dann erstmal nachlesen, während sie schon taumeln und die Augen verdrehen und Schaum im Gesicht haben und aus allen Löchern kotzen und kacken.«
»Gibt es eigentlich«, unterbrach Zayma den kruden Bericht, »Kliniken, die für solche Fälle eingerichtet sind?«
Patrick lachte. »Es gibt«, antwortete er dann, »in der ganzen Bundesrepublik mit Sicherheit kein Krankenhaus, das in der Lage wäre, mehr als, sagen wir mal, zehn gleichzeitig eingelieferte Opfer auch nur notdürftig zu versorgen, geschweige denn sie zu retten. Man hat zwar Medikamente, das sogenannte PAM zum Beispiel oder das Toxogonin. Das sind Reaktivatoren, die die Vergiftungserscheinungen eindämmen. Und natürlich hat jede Klinik auch ihre Intensivbetten, ohne die es schon gar nicht geht, aber das alles ist für den Normalfall angelegt, also für den armen Bauern, der sein E605 gegen die Windrichtung versprüht hat und den die liebe Verwandtschaft dann spornstreichs ins Spital bringt. Aber wenn da Massen eingeliefert werden, die mit VX in Berührung gekommen sind, ist so eine Klinik hoffnungslos überfordert. Übrigens müssen ja auch die Ärzte und das Pflegepersonal und die vielen stationären Kranken geschützt werden, wenn plötzlich ganze Heerscharen eingewiesen werden. Ich sag’ euch, ihr entfesselt da ein Szenario, wie niemand es sich vorstellen kann. Das wird …, das wird …«, er senkte die Stimme, »ein ganz leises Hiroshima.«
»Wenn das Gas in einem Wohngebiet ausströmt«, meinte Zayma, »muß man wohl die ganze Gegend evakuieren.«
»Im Gegenteil! Da hilft kein Evakuieren, da hilft nur Dichtmachen. Abriegeln. Die Betroffenen einsperren, damit bloß keiner von ihnen rauskommt und die Gesunden kontaminiert.«
Noch etwa eine Stunde dauerte die Unterredung, und es ging dabei vor allem um die zeitlichen Absprachen, aber auch wieder um die »Maßanfertigung«, wie Henderson das Herstellen der zwei Bomben nannte, und da nun endlich dienten ihm Stift und Papier, seinen Zuhörern die im Innern der beiden Magnetminen ablaufenden mechanischen und chemischen Vorgänge zu veranschaulichen. Am Ende der Besprechung hatten Robert und Zayma eine klare Vorstellung von ihrer Waffe. Sie würde die Größe und die Form einer Diskusscheibe haben und sogar deren Gewicht, wenn man von dem für Männer vorgesehenen Zwei-Kilo-Gerät ausging.
Als Patrick Henderson abgefahren war, instruierten sie die anderen, zu denen sich mittlerweile Rüdiger und Fred gesellt hatten. Die beiden waren von Robert hingehalten worden mit der Bemerkung, er habe ihnen einen lukrativen Vorschlag zu machen, sobald der Kölner Besuch wieder weg sei. Er sprach ausführlich über die Miniaturbomben, wechselte dann das Thema, sagte: »Es ist klar, daß wir jetzt einen Mann auf der Welt mehr zu fürchten haben als BKA, CIA und INTERPOL zusammengenommen, und das ist Frank Golombek. Ihr habt gesehen, mit welchem Fanatismus er sich in den Dienst unserer Sache gestellt hat, ohne allerdings zu wissen, was diese Sache war. Genauso fanatisch wird er nun das Ziel verfolgen, sich an uns zu rächen. Er ist zwar ein Trottel, aber auch Trottel können gefährlich werden. Wir müssen ihn also in die Finger kriegen, bevor er uns verpfeift.«
»Vielleicht hat er das längst getan«, meinte
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