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1988 VX (SM)

1988 VX (SM)

Titel: 1988 VX (SM) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hinrich Matthiesen
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Arzt!« schrie einer.
Auch Paul Stapelfeld und Georg Jöns waren aufgesprungen. Jöns wollte seinem am Boden liegenden Kameraden zu Hilfe eilen, da packte die riesige Hand des Oberleutnants wie eine heruntersausende Baggerschaufel zu, erwischte noch die Schulter, riß den erschrockenen Mann zurück. Damit nicht genug! Stapelfeld rannte los, weg von Ruhnke und den Männern, die ihn umstanden, in Richtung Bug, schleifte den Fahnenjunker hinter sich her. Einigen Soldaten, die der Lärm aufgeschreckt hatte und die nun neugierig näherkamen, rief er im Vorbeilaufen zu: »Haut ab! Vielleicht ist er das erste VX-Opfer!«
Das Wort schlug wie eine Bombe ein. Natürlich hatten sie alle von den Ereignissen bei Wasloh gehört und wußten, daß mit einem Giftgasanschlag gerechnet wurde. Mehr noch, sie waren über die für eine VX-Vergiftung typischen Anzeichen informiert worden und begriffen daher sofort, daß sie sich dem Tumult nicht ungeschützt nähern durften.
Stapelfeld riß eine Tür auf, schrie in den dahinter liegenden Messeraum: »Der Arzt wird gebraucht! Aber mit Spezialgasmaske und Schutzanzug! Ich glaube, wir haben das VX an Bord. Mittschiffs liegt einer, den’s erwischt hat.« Er hatte diese Tür nicht blindlings aufgerissen; wie jeder andere an Bord wußte auch er, daß für die Dauer der Charter die Messe zur Sanitätsstation geworden war. 
    Stabsarzt Bendixen starrte den Oberleutnant an. »Was sagen Sie da?«
»Ist nur eine Vermutung, aber ich glaube, sie ist richtig. Der Mann hat einen wahren Hexentanz aufgeführt, und sein Mund ist voller Schaum. Sie müssen sich beeilen!« 
    »Verdammt!« rief Unteroffizier Pahlke, einer der Sanitäter, »wir haben nur zwei Schutzanzüge und zwei Masken hier oben! Die anderen liegen im Auto.« Er zerrte die beiden Polyvinylchlorid-Overalls aus einem Schrankfach, auch zwei Gasmasken.
Bendixen und er zogen sich sofort um, prüften gründlich den Sitz der Schutzkleidung, nahmen ihre Erste-HilfeTaschen auf und liefen los. Wieder wollte Jöns hinterher, und wieder riß Stapelfeld ihn zurück, stapfte weiter und zog den Fahnenjunker hinter sich her.
»Wohin?«
»Zum Bug! In die äußerste Spitze! Und dann die Nase in den Wind halten!«
Plötzlich blieb Stapelfeld stehen. »Lauf schon voraus!« sagte er. »Ich komme gleich nach.«
Er lief ein Stück zurück, auf eine Treppe zu, nahm vier Stufen auf einmal, befand sich auf dem Bootsdeck. Noch eine Treppe! Auch die nahm er in wilden Sätzen. Dann stand er auf der Backbord-Brückennock. Er riß die Schiebetür auf und schrie ins Ruderhaus: »Käpt’n, ich fürchte, wir haben das verdammte Giftgas an Bord, das VX! Einen von uns hat’s erwischt. Er kam von Autodeck. Der Arzt ist bei ihm. Lassen Sie ausrufen, daß die Leute sich von dem Verletzten fernhalten! Ob Sie SOS funken, müssen Sie selbst entscheiden.«
Er verließ die Brücke, nahm die Treppe wieder in riesigen Sätzen, rannte nach vorn. Als er in der Bugspitze auf Jöns stieß, sagte er: »Wenn es das VX ist, stirbt Ruhnke, und die Leute, die ihm helfen wollten, sterben auch!«
Der Lautsprecher ertönte, schallte über das ganze Schiff. Der Kapitän gab die Anweisung, zu der Stapelfeld geraten
hatte. Gleich darauf begann der Bug sich zu füllen. Immer mehr Männer erschienen dort, drängten sich nach den besten Plätzen. Aber es gab auch Soldaten, die sich auf andere Weise zu retten versuchten. Ein paar von ihnen hatten blitzschnell eins der zu Paketen verpackten Schlauchboote aus seiner Halterung gerissen und über Bord geworfen. Dort hatte es sich automatisch aufgeblasen. Nicht weniger als vierzehn Männer waren ins Wasser gesprungen und hatten das Rettungsfahrzeug erklommen. Aber statt sich dann mit aller Kraft querab vom Schiff zu entfernen, hatten sie es geschehen lassen, daß ihr Schlauchboot neben der Bordwand verblieb und, weil die Fähre Fahrt machte, nach hinten trieb und in deren Kiellinie gelangte. Den Männern wurde dann nicht, wie es auch leicht hätte geschehen können, das quirlige Schraubenwasser zum Verhängnis, sondern gerade das Gas, dem sie durch ihr hastiges Manöver hatten entfliehen wollen. Da sie sich direkt hinter dem Heck befanden, traf das VX sie in stärkster Dosierung. Das Autodeck wirkte wie eine Luftschleuse, durch die von vorn nach hinten der Fahrtwind blies. Zwar waren Bug- und Heckklappe der Fähre geschlossen, aber nicht hermetisch dicht. Am Heck gab es sogar einen handbreiten Spalt,
durch

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