1988 VX (SM)
einseinundsiebzig? In Friedrich Wilhelms Garde hätten sie mich nicht aufgenommen. Na ja, wenigstens hab’ ich gute Zähne und eine Nase, die – für sich gesehen – vielleicht sogar einen Preis holen könnte. Aber ’ne Nase allein macht noch kein Gesicht. Und meine Klamotten stimmen natürlich auch nicht mehr, seit Olga weg ist. Wieso beraten die Verkäufer heute eigentlich nicht mehr? Ich frag’: »Haben Sie ’ne Hose für mich?« Und die Kleine sagt bloß: »Da!«
Und macht ’ne Daumenbewegung, die genausogut bedeuten könnte: Raus! Ja, und nun hab’ ich diesen kackgelben Wohnsack, weil er so schön bequem wirkte. Na, wenigstens das Hemd reißt mich ein bißchen raus, elfenbeinfarbener Batist!
Er trat vom Spiegel zurück, und beim Hinausgehen dachte er noch: Vielleicht bin ich ja auch bloß deshalb Polizist geworden, weil ich mir Respekt verschaffen wollte. Aber das darf ich natürlich ebensowenig ausplaudern.
Er verließ das Haus, ging die schmale, asphaltierte Straße entlang. Schon nach wenigen Schritten hatte er die Nr. 11 gefunden. Es war der beleuchtete Bungalow zu seiner Linken. Das Nummernschild wurde halb verdeckt von einem kleinen Orangenbaum, und so hatte er erstmal ein paar Zweige zur Seite biegen müssen.
Er läutete noch nicht, schlich im Schutz der Dunkelheit an der Hauswand entlang, stellte einmal mehr fest, daß seine Erkältung im Abklingen war, denn er roch den Blütenduft, der in der Luft lag. An einem beleuchteten Fenster machte er halt, spähte ins Zimmer, entdeckte außer zwei nicht bezogenen Betten und ein paar anderen Möbelstükken einen ganzen Turm aus Koffern. Er war auf dem Fußboden gestapelt. Das ist wohl ihr Abstellraum, dachte er, und sie hat vergessen, das Licht auszumachen. Er schlich weiter, erreichte die Terrasse, betrat sie aber noch nicht, sondern lugte zunächst nur vorsichtig um die Hausecke. Im Licht der über der offenen Tür angebrachten Lampe sah er eine Liege, einen flachen Tisch, einen Teewagen, auf dessen unterem Deck ein paar Bücher und Zeitungen lagen. Die großen quadratischen dunkelroten Fußbodenplatten glänzten wie poliert.
Er wartete ein paar Minuten und entschloß sich dann zu einem kühnen Schritt, betrat die Terrasse, ging nah heran an die Türöffnung, hielt sich dabei im Schutz eines halb zugezogenen Vorhangs. Schließlich riskierte er es, mit einem Auge an dem Stoff vorbei ins Zimmer zu blicken.
Katharina Golombek saß in einem Korbsessel an einem runden, ebenfalls aus Korbweiden geflochtenen Tisch, auf dessen gläserner Platte ein halbvolles Glas, ein Aschenbecher, eine Vase mit langstieligen Margeriten und ein Telefon standen.
Sie trug ein hellblaues, weites Strandkleid, hatte sich in ihren Sessel zurückgelehnt und hielt einen Kassettenrecorder im Schoß. Da die Schiebetür weit geöffnet war und sich zwischen ihm und dem Zimmer also nur der vom Meerwind ganz leicht bewegte Vorhang befand, verstand er jedes Wort. Es handelte sich offenbar um ein Hörspiel, denn was da ablief, war ein engagierter Dialog zwischen einem Mann und einer Frau.
Eine gute Lösung, dachte er, wenn man mal nicht mehr lesen mag und das hiesige Rundfunkprogramm nicht versteht.
Er hatte vorerst genug gesehen, schlich zurück, verließ das Grundstück und ging die Straße auf und ab, machte sich einen Plan.
3.
Schließlich betrat er erneut den Vorgarten, ging weiter, drückte auf den Klingelknopf. Nach etwa einer halben Minute hörte er Schritte. Die Tür ging auf. Katharina Golombek erkannte ihn nicht. Sie sah ein wenig abweisend auf die vor ihr stehende Gestalt, schob sogar die Tür wieder ein Stück zu, schloß sie jedoch nicht, sondern stellte sich in ihren Schutz und sah an der hölzernen Kante vorbei nach draußen, ähnlich wie er selbst vor einer Viertelstunde an dem Vorhang vorbei in ihr Zimmer gesehen hatte.
»Guten Abend, Frau Golombek!« Die Tür ging wieder etwas weiter auf. »Guten Abend.« »Entschuldigen Sie bitte die Störung, aber ich hab’ Sie in den letzten Tagen ein paarmal gesehen und mich gefragt: Ist sie es, oder ist sie es nicht? Dann hab’ ich mir oben in der Verwaltung die Liste angeguckt, und siehe da, sie ist es! Die Welt ist klein. Ich wohne auch hier, ein paar Häuser weiter. Übermorgen ist mein Urlaub zu Ende, aber ich dachte: Guten Tag sagen mußt du ihr doch wenigstens!«
»Das ist ja sehr nett, Herr …«
»Lemmert.«
»… Herr Lemmert, aber woher kennen wir uns denn?«
»Ich war nach dem Unfall Ihrer Tochter auf dem
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