1990 - Der Silberwolf
besser geschützt war als in der Steuerbox, in der das Team Quartier bezogen hatte. Lazari und Domino hatten sie tagelang beschwatzt, dass sie ihren Sohn auf den Flug mitnehmen solle, aber erst die Fürsprache Kirk Albados hatte den Ausschlag gegeben. Rudyr ließ sich vom Transmitter in den Kommandobereich abstrahlen. Seine Ankunft in der riesigen, unübersichtlichen Umgebung blieb fast unbemerkt. Die Aufmerksamkeit der Besatzung richtete sich auf den Gharrer.
Shaivendon hatte seine Wasserstoff-Methan-Unterkunft verlassen und trug einen Druckpanzer. Der Gharrer besaß wie alle Meister des Sandes eine körperliche Abweichung von der genetischen Norm. Er hatte drei Arme. Zwei saßen seitlich an den Schultern, ein dritter, kleinerer wuchs ihm aus der Brust. „Ich bin bereit", verkündete er. Die KORONA erwischte das Knotenschiff nach Abschluss der nächsten Linearetappe und schnitt ihm den Weg ab. „Ziel erfasst", hörte Rudyr Albados Stimme. „Torpedo abgeschossen." Der Torpedo tauchte tausend Kilometer neben dem Knotenschiff aus dem Hyperraum auf, schleuderte den eiförmigen Sender von sich, der übergangslos seine Störfrequenzen ausstrahlte.
Rudyr starrte in Richtung des Gharrers. Wie ein Gebirge ragte Shaivendon mitten in der Kommandozentrale auf. Hinter der Helmscheibe war das Gesicht mit dem Augenkranz zu erkennen. Wie alle Maahks und Gharrer besaß der Meister des Sandes keine erkennbare Mimik. Shaivendon blickte starr auf den Bildschirm. Sein dritter Arm vor der Brust fing an, hin und her zu zucken. Der Neunzehnjährige richtete seine Aufmerksamkeit auf die Anzeigen der Ortung. Der Sender deckte das gesamte UHF-Band ab.
Aus einem Akustikfeld drang die Stimme Kirk Albados. „Das Ei ist seit zwanzig Sekunden auf Sendung", teilte er mit. „Ich kann nichts erkennen", antwortete der Meister des Sandes. „Ich erhalte keine Botschaften, die ich reflektieren kann.", „Hart Backbord." Kobo Reaumyr schloss seinen Helm. „Wir gehen längsseits und sehen uns die Bescherung an." Das Knotenschiff flog mit sechzig Prozent Lichtgeschwindigkeit auf das Sonnensystem zu.
Die KORONA glich ihre Geschwindigkeit an und schleuste ein Robotkommando aus. Zwanzig TARA-V-UHs erreichten den Algioten-Raumer und verschwanden in einer Schleuse.
Die Aufnahmen ihrer Optiksysteme belegten, dass von den vierhundert Saggarern und dreihundert Oschongen höchstens ein Dutzend am Leben waren. Ihre Köpfe wiesen so schlimme Verletzungen auf, dass diese Wesen binnen Stundenfrist sterben würden. Alle anderen waren bereits der Explosion ihrer Psi-Netze zum Opfer gefallen. Kobo Reaumyr, ehemaliger Springer-Patriarch und von seiner eigenen Familie zum Teufel gejagt, sank in sich zusammen. „Das hat mir gerade noch in der Sammlung gefehlt", ächzte er. „Hat sich denn alles gegen mich verschwo ren? He, Albado!
Du hast mir einiges zu erklären. Fang endlich damit an!"
Der Teamchef klang ausgesprochen kleinlaut, als er sich nach längerem Zögern meldete. „Wir wissen noch nichts Genaues" ,sagte er. „Der Einsatz des Prototyps ist damit erst einmal gescheitert. Alles Weitere später, wenn wir zurück in der MERLIN sind." Rudyr war wie vor den Kopf geschlagen. In seinen Ohren summte es. Die Aufnahmen aus dem Knotenschiff überstiegen seine Vorstellungskraft. Immer wieder schüttelte er im Helm den Kopf. Er wollte es einfach nicht glauben. Als sein SERUN sich ohne eigenes Zutun in Bewegung setzte und durch den Transmitter in die Steuerbox zurückkehrte, nahm er es nur am Rande wahr. Saidi wartete schon auf ihn. Rudyrs Mutter war klein und zierlich. Ihr Gesicht mit den stark hervortretenden Wangenknochen sah aus, als habe es ein begnadeter Künstler aus Jade geschnitzt. Die derzeitige Farbe ihres Teints weckte jedoch schlimme Befürchtungen in Rudyr, was ihren Gesundheitszustand betraf. Sie ähnelte blassem, ausgewaschenem Flusskiesel. Eine Spur von Grau schien sich in das zuvor so reine Grün gemischt zu haben.
Seine Mutter fasste ihn an der Hand und ließ ihn nicht mehr los. „Bestimmt ist alles nur halb so schlimm, wie es sich auf den Aufnahmen darstellt", versuchte sie abzuwiegeln. „Du hast nichts gesehen oder kaum etwas, nicht wahr?" Er war noch immer nicht bei der Sache. .Der eindringlichhypnotische Tonfall seiner Mutter verfehlte vollkommen die Wirkung. „ich habe alles gesehen", murmelte er. „So viel Tod, so viel Blut."
Saidi klammerte sich an ihn, als müsse sie ihn vor einem Angriff schützen. Sie zog ihn hinüber zu dem
Weitere Kostenlose Bücher