1991 Atlantik Transfer (SM)
unterkühlt. Alles Gute für Sie!«
»Danke.«
Breckwoldt ging hinaus.
9
Heinrich Nielson und Veracruz, das war, als kehrte da ein Mann zu seiner Geliebten zurück, so stark empfand er diese Stadt als einen Ort der Lebensfreude. Jedesmal, wenn der Lotse an Bord gekommen war und das Schiff mit langsamer Fahrt auf die alte spanische Festung San Juan de Ulua zuhielt, frohlockte er über die Aussicht, den zwar nicht sehr ansehnlichen, aber von seinem Flair her so betörenden Tropenhafen wieder zu betreten, durch die belebten Straßen zu schlendern, den Marimba-Klängen zu lauschen, den Männern bei ihren Geschäften und beim Müßiggang zuzusehen und die dunkelhäutigen veracruzanas wie auch die etwas helleren Kreolinnen, die auf der plaza flanierten, zu beobachten.
Diesmal war es anders.
Vierundzwanzig Stunden lag die CAPRICHO nun schon am Kai, und er hatte, abgesehen von einem kurzen Besuch bei der Hafenbehörde, sein Schiff nicht verlassen. Es war abends zehn Uhr, die Stunde, in der die Stadt zu pulsieren begann, die Straßenlokale sich füllten, die Musik sich endlich gegen den schwächer werdenen Autolärm durchsetzte und die Händler ihre beste Zeit hatten. Aber er saß noch immer in seinem Salon.
Sie waren am Vortag bei Dunkelheit eingelaufen, und nachdem sie festgemacht hatten, waren nicht weniger als zehn Personen an Bord gekommen, Vertreter des Zolls und der Hafenpolizei, Angestellte des Maklerbüros und sogar zwei Indios mit ihren handgewebten Teppichen. Etwas später war noch ein Mann erschienen. Er wollte Leuffen abholen, und es gelang ihm ohne jede Schwierigkeit. Wenn so viele Menschen auf ein Schiff kommen und es zu unterschiedlichen Zeiten wieder verlassen, fällt eine solche Aktion nicht auf. Kurz vor der Übernahme des Lotsen hatte Leuffen die zweite Rate der Passagekosten bezahlt. Auf Nielsons nochmalige Frage, wohin es denn gehe, hatte er geantwortet: »Ein Stück landeinwärts, dann rechts, dann links und wieder rechts und dann ein paar tausend Meilen geradeaus.« Ein Händedruck hatte nicht stattgefunden. Leuffen mußte gespürt haben, daß eine solche Geste unangebracht gewesen wäre. Und er hatte sich nicht geirrt.
Nielson, trotz seiner dunklen Geschäfte nicht ganz gewissenlos, hätte die ausgestreckte Hand ignoriert, wie er auch schon bei den Mahlzeiten mehr und mehr auf Distanz gegangen war, seinen Passagier meistens sogar allein hatte essen lassen. Ja, und nun war der weltweit gesuchte Deutsche ganz unbedenklich über die Gangway vom Schiff marschiert und mit dem Besteigen des am Kai wartenden Autos in sein zweites Leben eingetreten.
Nielson war froh, ihn los zu sein. Die andere illegale Aktion war ebenfalls überstanden. Der Leichter aus Puerto Alvarado war gleich am Morgen längsseits gegangen, und die Männer der CAPRICHO hatten die Waren mit dem bordeigenen Ladegeschirr übernommen. In der Mittagspause, als das Deck verlassen dalag, hatten Nielson, der Erste Offizier und der Chief-Ingenieur zwischen den dort abgestellten Eimern diejenigen herausgesucht, die an ihrer Unterseite mit einem Aufkleber versehen waren, und sie in die bodega gebracht. So war die Lage nun eigentlich entspannt. Das weitere Beladen des Schiffes nahm seinen gewohnten Gang, und er konnte, wenn er wollte, für ein paar Stunden von Bord gehen. Aber er blieb vorerst, saß an seinem Schreibtisch, trank einen Gin Tonic und rauchte mexikanische Zigaretten, die ihm einer der Besucher geschenkt hatte. Sie waren aus schwarzem Tabak und von minderwertiger Qualität, aber sein Faible für das kratzende dunkle Kraut war ein Teil der Liebe, die er für dieses mittelamerikanische Land empfand.
Nun ist das Scheusal endlich von Bord, dachte er. In Philadelphia hatten Ellerup und er einen schweren Stand gehabt, als nämlich die Offiziere der US-Coastguard sie mit Fragen traktierten. Sie müßten doch, so hatten die Amerikaner ihnen vorgehalten, den Notruf der MELLUM gehört haben, seien ja in unmittelbarer Nähe des Havaristen gewesen. Am liebsten hätte er geantwortet, er habe einer Schlechtwetterzone ausweichen und einen nördlicheren Kurs fahren müssen, aber das war unmöglich. Wie auf jedem Schiff, so wurde auch auf der CAPRICHO die jeweilige Position vom wachhabenden Offizier in die Seekarte eingetragen, und da nur der Erste, nicht aber der Zweite und Dritte in die Machenschaften der Schiffsführung eingeweiht waren, ließ der notierte Kurs sich nicht nachträglich verändern. So blieb als angeblicher Grund für die
Weitere Kostenlose Bücher