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1991 Atlantik Transfer (SM)

1991 Atlantik Transfer (SM)

Titel: 1991 Atlantik Transfer (SM) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hinrich Matthiesen
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unterlassene Hilfeleistung einzig und allein ein Ausfall des Funkgeräts, und das führte bei den Amerikanern zu der rigoros getroffenen Feststellung, er halte seinen Laden nicht in Ordnung, und deshalb hätten einundzwanzig Menschen den Tod gefunden.
    Mehrere amerikanische Zeitungen hatten über den Untergang der MELLUM berichtet. In einer war von einem Rettung verheißenden Funkspruch die Rede, der aber plötzlich abgerissen und auch nicht wiedergekommen sei. Diesen Bericht hatte er sich ausgeschnitten, und jetzt holte er ihn aus dem Schreibtisch hervor, las ihn noch einmal, Wort für Wort. Neben dem Text war ein Bootsmann mit Namen Wolbrügge abgebildet als einer der wenigen Überlebenden und zugleich als derjenige, der Stein und Bein geschworen hatte, da sei ein Schiff ganz nahe gewesen und habe sofortige Hilfe zugesichert.
    Er schloß den Zeitungsausschnitt wieder weg, dachte nach über Leuffens Schuld am Tod der Schiffbrüchigen und über seinen eigenen Anteil daran, denn wenn es auch die LUGER gewesen war, die ihn am Handeln gehindert hatte, so wußte er doch nur zu gut, daß sie nicht wie ein Blitz aus heiterem Himmel in die Szene geriet, sondern – Leuffen selbst hatte daran erinnert – lediglich einer zuvor eingegangenen Verpflichtung Nachdruck verlieh. Und diese Verpflichtung war, daran führte kein Weg vorbei, seine, Heinrich Nielsons, Sache.
    Seit er zu den Kokain-Händlern gestoßen und ihr Partner geworden war, hatte er sich schon oft mit der Frage auseinandergesetzt, wie denn wohl, wenn am Ende eines solchen Tuns der Tod stand, die Schuld aufzuteilen sei. Von den Indios, die auf ihren Feldern den Anbau betrieben, bis hin zum Konsumenten war es eine weite Strecke, die über eine ganze Kette von Zwischenstationen verlief, und so hatte er sich die Rechtfertigung eines kolumbianischen Kokain-Aufkäufers zu eigen gemacht, der einmal zu ihm gesagt hatte: »Man kann doch nicht, wenn da ein Selbstmörder vom Eiffelturm springt, Herrn Eiffel die Verantwortung aufladen!« Dieses Beispiel, so salopp es dahergeredet war und sowenig es für einen Vergleich taugte, hatte etwas Beschwichtigendes. Für ihn lag die übliche Argumentation nahe: Wenn nicht er den Transport übernahm, machten das andere. Seine Weigerung würde also nichts ändern. Und seine Route war mehr denn je gefragt. Der amerikanische Markt war gesättigt, nicht mehr ausbaufähig. Andererseits gab es große Produktionsüberschüsse. Da war für die KokainBarone das nicht minder dekadente und nicht minder versorgungsbedürftige Westeuropa genau das richtige Ziel, zumal die Droge dort etwa fünfmal so hoch gehandelt wurde wie in den USA.
    Ich bin, sagte sich Nielson, ja nur der Postbote! Wenn ich mir überlege, daß der Preis auf dem langen, langen Weg vom armen Kokain-Bauern bis hin zum Verbraucher um zehn- bis zwölftausend Prozent steigt, dann weiß ich, daß es viele sind, die an dem Geschäft verdienen. Und noch etwas: Dieser Pablo, der damals auf die CAPRICHO kam, um mich weichzukneten, damit ich seine Transporte übernähme, hat mir immerhin auch einigen Unterricht in Wirtschaftsgeographie erteilt. Solange die Amis und die Europäer den Kolumbianern, Peruanern und Bolivianern für ihre anderen Anbauprodukte wie Orangen, Zitronen, Bananen, Ananas, Mangos und vor allem für den Kaffee keine akzeptablen Preise zahlen, zwingen sie sie ja dazu, etwas zu produzieren, was gebraucht und angemessen bezahlt wird. Und das ist eben das Kokain, das den Indios als eines der letzten wirklich begehrten Produkte geblieben ist, nachdem man ihre Zinn-, Kupfer-, Silber- und Goldvorräte längst ausgebeutet hat.
    Und auch das hat Pablo mir erklärt: Die Barone haben die Sympathie der Landbevölkerung, weil sie ihr wieder auf die Füße geholfen haben! Natürlich verstehe ich die Gegner des Drogenhandels, aber man muß beide Seiten sehen.
    Immer wieder versuchte er, seine Schuld zu relativieren. Der Mann, so sagte er sich, der einem Menschen eigenhändig den Schädel einschlägt, ist ein Mörder. Aber schon derjenige, der ihm verrät, zu welcher Zeit und in welcher schummerigen Gasse er sein Opfer antreffen kann, ist kein Mörder, allenfalls ein Judas. Und ein Dritter, der den Judas und den Mörder für ein paar Geldstücke zusammenbringt, wohl wissend, daß da etwas Böses ausgeheckt werden soll, ist noch ein Stück weiter weg von der Tat und damit auch von der Schuld. Ähnlich ist es ja auch mit denjenigen, die Waffen in die Krisengebiete der Welt verschachern.

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