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1992 Das Theunissen-Testament (SM)

1992 Das Theunissen-Testament (SM)

Titel: 1992 Das Theunissen-Testament (SM) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hinrich Matthiesen
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heimlichen Liebschaft gegangen war, so ging es nun um das Ende. Es war sein Abschied von zu Haus. Zwar war er schon ein paar Jahre zur See gefahren, doch nur auf kleineren Schiffen und nie weiter als bis Amsterdam oder Esbjerg, so daß er zwischen den Reisen oft in den Haubarg gekommen war. Nun aber sollte es auf die erste große Reise gehen, mit einem Riesenkahn, wie er sich ausdrückte, einem dreiundzwanzigtausend Tonnen großen Frachter, zunächst nach Kalkutta, dann nach Sydney und schließlich nach Valparaiso. Spätabends, die Familie war nach dem Abschiedsessen schlafen gegangen, schlich er in ihre Kammer. Unterm Arm trug er, in ein Tuch eingewickelt, einen Gegenstand, der so groß war und so klobig wirkte wie eins von Madams Waschbrettern. Aber es war ein Buch, ein dicker Wälzer mit braunem Lederrücken. STIELERS HANDATLAS stand darauf. Und dann lagen sie beide, weil es in dem Zimmer keinen Tisch gab, auf dem Fußboden, zu ihren Köpfen die Petroleumlampe und die aufgeschlagene Weltkarte. Er zeigte ihr, mit dem Finger über das Blau fahrend, die lange Reise, zu der er am nächsten Tag von Hamburg aus aufbrechen und von der er erst in einem halben Jahr zurückkehren würde. Das war, dachte sie, eigentlich das Schönste an dieser letzten Nacht, daß er mir im Atlas Kalkutta zeigte und Sydney und Valparaiso. Mir, dieser dummen Gans, die schon eine Fahrt nach Husum aufregend fand, beschrieb er den viele tausend Meilen langen Weg, erzählte sogar, was los war in den fremden Städten, wie die Menschen da lebten, woran sie glaubten und was bei ihnen auf den Tisch kam. Er hatte das alles gelesen und wollte, wie er sagte, das große Abenteuer, das vor ihm lag, mit mir teilen, und weil ich nicht mitfahren konnte, sollte ich wenigstens auf dem Papier dabeisein. Er nahm mich ernst, und das war für mich so wichtig, daß er mir dafür ruhig noch einmal fast den Arm hatte auskugeln dürfen, obwohl es verdammt weh getan hatte. Wirklich, er nahm mich ernst, und später kam dann ab und zu eine Postkarte von irgendeiner Ecke der Welt, und wehe, die Alten hatten nicht am selben Tag ihren Brief!
    Sie schenkte sich noch einen Genever ein. Ja, Claas Theunissen, im Bett warst du dann, weil es das letzte Mal sein würde, ungefähr so wild wie Max, der wertvollste Stier deines Vaters, der dreimal seine Box zertrümmert und im ganzen elf Preise gekriegt hat, nur daß dem natürlich nicht all die verrückten Sachen einfallen konnten, die du mit mir angestellt hast. Mensch, waren das Sachen!
    Und du sagtest: »Klar mußt du mir nicht treu sein, aber wirf dich nicht weg an den erstbesten, und schön war’s, wenn du manchmal an mich denken würdest.«
    Sie fuhr zusammen, weil die alte Standuhr im Pesel zu schlagen begann, stand dann auf und lief ans Fenster, durch das sie den langen Zuweg überblicken konnte.
    Schon zwei oder drei Minuten später bog der rote PORSCHE ein. Sein affiges Auto gefällt mir nicht, dachte sie. Trotzdem, er ist nun mal ein Theunissen! Und er hat seinen Vetter Olaf aus dem Watt gezogen! Daß er ihm jetzt ein Schiff versenkt hat, kann ich erst glauben, wenn es wirklich bewiesen ist. Sie trat vor die Tür. Er hatte ihr sogar Rosen mitgebracht. »Aber ich hab’ doch nicht Geburtstag!«
    »Muß man denn unbedingt Geburtstag haben, um Blumen zu kriegen?«
Sie gingen ins Haus.
»Du hast kein einziges Gepäckstück bei dir, wirst also nicht hier übernachten?«
»Nein, ich wollte nur für ein paar Stunden aus allem raus. Wenn du einen Kaffee für mich hättest, wäre das wunderbar.«
»Das Frühstück ist fertig.«
Sie stellte die Rosen in eine Vase, nahm sie mit in den Pesel. »Aber die sind für dich! Also mußt du dich jetzt zu mir setzen und mit mir frühstücken. Oder möchtest du keinen Kaffee, weil du ja schon beim Genever warst?«
Ihre Hand fuhr zum Mund. »O Gott, riecht man das?« »Macht doch nichts.«
»Dann muß ich einen Kaffee trinken.«
Sie schenkte ein, setzte sich. Essen wollte sie nichts, aber er ließ sich das dunkle Brot und den Schinken, den Schafskäse und den Thymianhonig schmecken. Ohne sich auch nur um den Versuch eines Übergangs zu bemühen, sagte er: »Ich nehme an, du freust dich über deine Rentenaufstockung aus Chile. Und die fünfzigtausend Dollar hast du hoffentlich nicht gleich weiterverschenkt.«
»Die liegen auf der Sparkasse, in D-Mark. Jedes Jahr kann ich mir siebeneinhalb Prozent Zinsen abholen.«
»So ist es richtig. Hat er also ringsum Segen gestiftet, der alte Onkel Claas,

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