1992 Das Theunissen-Testament (SM)
ihre Story in der Abendausgabe ist. Aber uns wird sie verschont haben.«
»Du bist verrückt!« Es war ein wütender Blick, mit dem Federico seinen Freund bedachte. »Weder das eine noch das andere ist passiert. Ich bin sicher, gleich kreuzt sie auf, weht wie ein Wirbelwind in den Saal und begrüßt uns mit: ›Sorry, ich bin aufgehalten worden!‹. Wenn’s euch jedoch beruhigt, kann ich ja mal telefonieren. Aber bestimmt erreich’ ich sie nicht, weil sie nämlich auf dem Weg hierher ist.«
Er verschwand, und Olaf griff nervös nach der Speisekarte. »Willst du was essen?« fragte Ernesto.
Die Karte landete wieder auf dem Tisch. »Nein, das können wir im Flugzeug. Falls wir da reinkommen.«
»Nun mal doch nicht den Teufel an die Wand! Wirst sehen, am Telefon sagt sie: ›Ihr solltet in unsere Abendausgabe gucken!‹ Und das war’s dann. Ich bin sicher, die Bullen erscheinen hier nicht.«
Wenige Minuten später kam Federico zurück. Den beiden fiel auf, wie verstört er an den Tischen entlangging und wie blaß er war. Als sie dann noch sahen, daß er eine Zeitung in der Hand hielt, schien alles klar zu sein. »Na bitte!« sagte Ernesto.
Federico war herangekommen, setzte sich, schlug die Zeitung auf – es war nicht der MERCURIO – und sagte: »Da Olaf nicht genug Spanisch kann, hat es keinen Sinn, euch das Blatt einfach auf den Tisch zu knallen. Also übersetze ich. Valparaíso. Gestern wurde die dreißigjährige Journalistin Alejandra Alonso Opfer eines Mordanschlags. Man fand sie gegen dreiundzwanzig Uhr tot in ihrer Wohnung in Viña del Mar auf. Nach Aussagen des Polizeiarztes ist sie stranguliert worden. Außerdem wurden am Körper der Toten Merkmale entdeckt, die durch Folterung entstanden sein können. Es wird vermutet, daß das Verbrechen in Zusammenhang steht mit dem Schicksal des Zollbeamten Armando Romero aus Valparaíso, der seit gestern abend als vermißt gilt. Am Morgen ihres Todestages ist Alejandra Alonso bei der hiesigen Zollbehörde erschienen, um im Falle des am elften Oktober auf mysteriöse Weise untergegangenen deutschen Schiffes OLGA THEUNISSEN Erkundigungen einzuholen. Außer nach Armando Romero wird auch nach einem etwa dreißigjährigen Spanier mit Namen Jaime Carranza gesucht. Er hat zusammen mit Alejandra Alonso die Redaktion des MERCURIO, ferner die Comisarios López und Gil sowie die Asservatenkammer der hiesigen Kriminalpolizei aufgesucht und wurde mit der Journalistin auch im Café RIQUET gesehen. Er ist etwa einen Meter achtzig groß, schlank, hat schwarzes Haar, dunkle Augen und eine ebenfalls dunkle Hautfarbe. Er war bekleidet mit hellblauen Jeans, weißem Polohemd und grauer Windjakke. Nachstehendes Phantombild gibt das ungefähre Aussehen des Mannes wieder. Angaben über den Gesuchten sowie über die Aktivitäten der Alejandra Alonso und des Armando Romero während der letzten Tage nimmt, auf Wunsch vertraulich, jede Polizeidienststelle unseres Landes entgegen.‹ Ja, und da habt ihr mein Konterfei!« Federico legte die Zeitung so auf den Tisch, daß beide das Bild sehen konnten. Dann zog er seine Sonnenbrille hervor und setzte sie auf. »Nimm sie sofort wieder ab!« zischte Ernesto ihn an. »Eine Sonnenbrille in geschlossenen Räumen ist viel verdächtiger als eine flüchtige Übereinstimmung. Außerdem ähnelt dieser Typ …«, er tippte auf die Zeichnung, »eher meiner Großmutter als dir.«
Federico gehorchte wortlos, und das kennzeichnete seine Verfassung. Mit fahrigen Bewegungen griff er nach seinem Drink, leerte das Glas, stellte es wieder ab, kippte es dabei fast um. Ein weiteres Mal musterte Olaf die Gäste, die aber sowohl von ihrem Habitus wie vom Gepäck oder auch den zu ihnen gehörenden Kindern her nicht nach Polizisten aussahen, faltete dann die Zeitung zusammen, steckte sie ein und sagte: »Oberstes Gebot ist jetzt, einen klaren Kopf zu behalten! Federico, das Ganze tut mir verdammt leid, aber es hat nicht den geringsten Sinn, in Alejandras Wohnung zu fahren oder zu ihren Kollegen oder nach irgendwelchen Verwandten zu suchen. Helfen könntest du ihr damit nicht, wohl aber uns drei in Gefahr bringen. Ernesto hat recht, das Phantombild trifft dich nicht gut. Außerdem hast du jetzt andere Klamotten an. Wir haben also durchaus noch die Chance, unbeanstandet durch die Kontrollen zu kommen. Was für ein Glück, daß du ihr deinen richtigen Namen erst nach euren Besuchen bei López und Gil genannt hast! Sonst war’s jetzt aus.«
Und Ernesto meinte: »Wir können
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