1992 Das Theunissen-Testament (SM)
nichts mehr für sie tun.«
»Aber läßt sich«, fragte Federico, »aus dem Mord nicht schließen, daß die Leute, nach denen wir suchen, noch in Chile sind?«
»Nur die Handlanger«, antwortete Olaf, »deren Aufgabe es sein wird, die Entwicklung zu verfolgen und notfalls einzuschreiten, was nun ja leider auch geschehen ist. Ich tippe auf folgendes. Der Zollbeamte, der Alejandra behilflich war, dieser Armando Romero, hat seinen Kollegen von ihr berichtet, und unter denen war einer, der in der Geschichte mit drinsteckt. Vermutlich ist es derjenige, der in Curacavi die Laster verplombt hat. Er wird bei den Gangstern Alarm geschlagen haben, und die reagierten sofort. Für diese Version spricht, daß sie auch Romero ausgeschaltet haben. Ich bin sicher, den findet man demnächst mit durchschnittener Kehle oder mit einem Loch im Kopf irgendwo auf.«
»Kann sein, daß es so ist, wie du sagst«, antwortete Federico, »aber es macht mich verrückt, nichts tun zu können.«
»Wir tun ja was«, meinte Ernesto, »nur eben nicht mehr in Chile, sondern auf den Bahamas und in Miami. Sobald du dich hier meldest, kassieren sie dich als Tatverdächtigen. Und sollten die anderen dich in die Finger kriegen, bringen sie dich um. Aber mal angenommen, du landest bei den Bullen! Dann ist auch Olafs und meine Aufgabe zu Ende, denn dein Foto würde im Fernsehen erscheinen, und jeder Angestellte vom Hotel LOS ANDES würde aussagen, daß du zu einem Trio gehörst. Also, wir sollten jetzt ganz gelassen zum Schalter marschieren und dann so schnell wie möglich unsere Plätze im Flugzeug einnehmen.«
»Okay«, sagte Federico, »ich seh’s ein, wir haben gar keine Wahl.«
Olaf winkte den Kellner herbei und zahlte, und dann machten sie sich auf den Weg.
Vor dem Schalter der Paßkontrolle und beim Zoll hatten sie bange Minuten zu durchstehen, passierten aber beide Stationen ohne jede Behinderung. Doch aufatmen konnten sie danach noch nicht. Der Lautsprecher kündigte für ihren Abflug eine halbstündige Verspätung an, und diese Zeit mußten sie in einer mit Sitzplätzen ausgestatteten Warteschleuse verbringen. Beklommen starrten sie auf den Eingang, durch den noch immer vereinzelte Fluggäste hereinkamen. Jedesmal, wenn ein Passagier eintrat, setzte die Beruhigung erst ein, nachdem ihre Augen das alles entscheidende Merkmal, das Bordgepäck mit dem Label der Luftfahrtgesellschaft, erfaßt hatten. Kam jemand mit leeren Händen herein und ging sein Blick gar noch forschend durch die Reihen, dann bemächtigte sich ihrer eine fast unerträgliche Anspannung, die erst wich, wenn der Betreffende sich als harmlos erwies, indem er sich etwa anderen zugesellte oder zu seiner irgendwo im Raum abgestellten Reisetasche zurückkehrte.
Die Minuten krochen, dehnten sich zu nicht enden wollender Qual, so daß Olaf schließlich in dem langen, schmalen Raum auf und ab zu gehen begann. Immer wieder schickte er einen Blick zum Eingang, einen flüchtigen, damit niemand merkte, wie besorgt er war. Und einer weiteren Gefahrenquelle galt sein Augenmerk, den Zeitungen, in die einige der Wartenden sich vertieft hatten. Zweimal entdeckte er Federicos Phantombild, doch in beiden Fällen schien den Lesenden verborgen geblieben zu sein, daß der steckbrieflich Gesuchte in ihrer unmittelbaren Nähe war. Federico selbst hatte seine Zeitung auch aufgeschlagen und hielt sie sich vors Gesicht.
Endlich kam Bewegung in die Szene. Zwei Stewardessen postierten sich am Ausgang, und gleich darauf wurden die Passagiere über den Lautsprecher aufgefordert, an Bord zu gehen. Der Menschenstrom – es mochten etwa hundertzwanzig Personen sein – floß nach draußen ab.
Wenige Minuten später hatten die drei ihre Plätze eingenommen. Das Ritual lief ab, Begrüßung, Einweisung in den Gebrauch der Rettungsmittel, Ankündigung der Abendmahlzeit und Aufforderung zum Anschnallen.
Die Maschine rollte in ihre Startposition. Dann heulten die Düsen auf, und der Clipper raste über die Piste, hob ab, stieg steil nach oben. Das Fasten seat belt und das No smoking erloschen, die Metallverschlüsse klickten, Streichhölzer und Feuerzeuge flammten auf, die Rückenlehnen klappten nach hinten. »Geschafft!« sagte Ernesto. »Gott sei Dank!« Das kam von Federico.
Olaf jedoch, obwohl gleichfalls erlöst, hatte schon die nächste Warnung parat. »Wenn sie gefoltert worden ist«, sagte er, »wird man uns wahrscheinlich in Nassau erwarten.«
35
Ganz überraschend hatte John sich im Haubarg angemeldet, und so
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