1992 Das Theunissen-Testament (SM)
und sein Schiff liege gerade in Santander, hatte Olaf geantwortet und vorgeschlagen, Kapitän Hollmann hinzuzuziehen, denn der sei noch in Hamburg. Nein, es müsse der Ladungsoffizier sein, hatte Freeman mit Nachdruck erklärt, und so war gleich darauf ein Telefax an die Agentur in Santander gegangen.
Es kann sich eigentlich nur, überlegte er nun, um das Holz und um das Kupfer handeln, und da Wiegands Anwesenheit bei der ersten Besprechung nicht erforderlich gewesen ist, muß Freeman in Chile neue Informationen erhalten haben, die sich auf die Ladung beziehen.
Frau Mischke brachte ihm einen Kaffee, und er trank ihn im Stehen, sah dabei aus dem Fenster, erst hinüber zum Hafen und dann auf die belebte Straße, achtete auf Taxis, von denen zu dieser Stunde, in der das Geschäftsleben erwachte, viele unterwegs waren. Aber noch hatte keins vor dem großen Portal gehalten.
Er setzte sich wieder, schlug die Versicherungsakte der OLGA THEUNISSEN auf. Auch Jacobs Unterlagen über die Holzverschiffung waren dabei. Zum Glück sind Schiff und Ladung bei denselben Leuten versichert, dachte er, wenn ich es mit mehreren Hauptversicherern zu tun hätte, gäben sich jetzt bei mir die Broker die Türklinke in die Hand.
Alles in allem war er mit der BRISTOL INSURANCE zufrieden. Sie würde voraussichtlich in Kürze zahlen, so daß er den Erwerb eines neuen Schiffes schon vorbereiten konnte. In Frage kam ein vor fünf Jahren in Oslo vom Stapel gelaufener und derzeit unter portugiesischer Flagge fahrender Massengutfrachter von siebenundzwanzigtausend Tonnen, für dessen Ankauf die Versicherungssumme der OLGA allerdings bei weitem nicht ausreichte. Er würde einen dicken Batzen Geld draufzahlen müssen, hätte dann aber auch ein wesentlich jüngeres Schiff. Die Besichtigung sollte, zusammen mit Hollmann, Backhaus und Wessel, demnächst in Rotterdam stattfinden. Freeman kam um Viertel vor zehn, und Wiegand erschien nur wenige Minuten später. Nach der Begrüßung gingen sie ins Sitzungszimmer.
»Warum«, fragte Olaf den Engländer, nachdem alle drei sich gesetzt hatten, »war es so wichtig, Herrn Wiegand herzubitten?«
»Weil er«, antwortete Freeman, »am ehesten darüber Auskunft geben kann, wie auf der OLGA THEUNISSEN die Ladung verteilt war. Ich brauche einen detaillierten Bericht.« Hans Wiegand, der aus einem der Elbmarschendörfer stammte, war dreiunddreißig Jahre alt und hatte eine breite und etwas schwerfällige Sprechweise. Er war mindestens einen Meter und neunzig groß, hatte mächtige Schultern und volles blondes Haar. Freeman, obwohl auch nicht gerade klein, wirkte gegenüber dieser üppigen Physis wie ein Hutzelmännchen. »Ja, also«, begann Wiegand, »das Kupfer ist in allen sechs Luken als Basis-Ladung gestaut worden, und dann haben wir in Talcahuano das Holz dazugepackt.«
»Mich interessiert«, sagte Freeman, »in erster Linie das Holz. Laut Versicherungs-Police handelte es sich um Swietenia, Feuerlandkirsche, Lenga, Rauli und RadiataPine, alles Schnittholz, wobei die letztgenannte Sorte Billigholz und die vier anderen Edelholz sind.«
Wiegand nickte. »So ist es, und so stand es auch in den Ladepapieren.«
»Bitte, sagen Sie mir, wo die einzelnen Holzsorten gestaut waren. Was lag unten, oben, an Backbord und an Steuerbord?«
»In den Luken eins bis vier lagen die Edelhölzer, in fünf und sechs Radiata-Pine, und in allen Luken lag unten das Kupfer und obendrauf das Holz, jeweils durch eine dicke Folie voneinander getrennt.«
Olaf breitete einen Schiffsplan auf dem Schreibtisch aus, und Wiegand trug die verschiedenen Positionen der Ladungsanteile ein. Danach vertieften sich die drei Männer in die mit genauen Maßangaben versehene Zeichnung, und anschließend gingen sie ins Foyer, wo Wiegand am Modell der OLGA THEUNISSEN den Ladevorgang demonstrierte. Er hob sogar die Glashaube ab, um an der Schiffsaußenwand zu zeigen, welche Höhe die Kupferladung gehabt hatte.
Als sie wieder im Büro waren, fragte Freeman den Offizier: »Haben Sie sich das Edelholz näher angesehen?«
»Nein, wieso? Ich hab’ nur dafür zu sorgen, daß die Ladung richtig gestaut wird.«
»Manchmal«, sagte Freeman, »sind die Bündel so gepackt, daß außen gutes Holz liegt und innen schlechtes.«
»Das war«, mischte Olaf sich ein, »hier bestimmt nicht der Fall! Eine so angesehene Firma wie ANAYA HERMANOS würde niemals mit derartigen Tricks arbeiten.«
Freeman nickte. »Das ist sicher richtig, sofern sie davon ausgehen muß, daß
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