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1992 Das Theunissen-Testament (SM)

1992 Das Theunissen-Testament (SM)

Titel: 1992 Das Theunissen-Testament (SM) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hinrich Matthiesen
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Dann könnten wir nämlich noch so verschlüsselt reden, sie wüßten Bescheid, wüßten zumindest, daß er Kontakt zu uns hat, und würden uns die Hölle heiß machen. Anders ist es, wenn ich von irgendeinem Postamt aus nach Chile telefoniere, dann kann ich mit ihm reden.«
»Oh, Jacob!« Sie nahm seine Hand. »Was für ein Ende wird das alles nehmen?«
»Ein gutes.«
»Wie wird John sich verhalten, wenn er erfährt, daß Vater geflüchtet ist? Denn Flucht wird man es nennen, und spätestens morgen steht es in der Zeitung.«
»Ich glaube, die Nachrichten bringen es schon heute. Macht aber nichts. Wir wußten ja, daß es publik werden würde. John, tippe ich, wird uns nicht besuchen. Er wird im Hintergrund bleiben und abwarten, wie die Dinge sich entwickeln. Kopf hoch, Mutter! Vater ist drüben nicht allein.«

23
    »Hört sich an, als säßen wir in der richtigen Maschine«, sagte Ernesto, nachdem die Stewardess die Passagiere im Namen der LADECO, der LINEA AEREA DEL COBRE, begrüßt hatte. Olaf stimmte ihm zu. 
    Fluglinie des Kupfers, überlegte er, das klingt wie eigens für uns ausgedacht.
    Nach anderthalb Stunden waren sie in Puerto Montt. Wieder mieteten sie sich einen Wagen, einen robusten Jeep diesmal, denn in der gebirgigen Landschaft würde es nicht darum gehen, weite Strecken zu bewältigen, sondern die Tücken des Geländes zu meistern.
    Der erste Teil ihrer Autofahrt verlief jedoch glatt. Auf der Carretera 5 erreichten sie in einer knappen halben Stunde das fünfzehn Kilometer entfernt gelegene Puerto Varas. Olaf kannte die Gegend von seinen früheren Reisen her. Dennoch zog auch ihn, jedenfalls zeitweilig, die südchilenische Landschaft in ihren Bann. Vor allem der Anblick der Berge sorgte für Momente, in denen er die eigene Bedrängnis vergaß, und die Wälder schienen ihm zu sagen. So kraftvoll, so gesund können wir dastehen, wenn die Menschen mit der Natur in Einklang leben! Natürlich wußte er, gerade er, vom Holzeinschlag in dieser Region, von Sägewerken, von ständigen Transporten gewaltiger Baumstämme zu den Häfen, von denen aus sie verschifft wurden, doch lag hier, im Gegensatz zu vielen anderen Ländern, dem Abbau selektive Nutzung, ja, Hege zugrunde.
    In Puerto Varas fanden sie ein angenehmes kleines Hotel, bezogen ihre Zimmer und suchten dann gemeinsam im Telefonbuch nach dem Namen Gutiérrez. Es gab ihn etliche Male. Federico übernahm die Anrufe. Der fünfte Teilnehmer konnte Auskunft geben. Er beschrieb ihm den Weg zu einer außerhalb der Stadt gelegenen Siedlung. Dort, so meinte der Mann, habe Hilario lange Zeit gewohnt. Carlos, so glaubte er sich zu erinnern, sei schon als junger Mann nach Valparaiso gezogen. Nach dem Mittagessen – die Gemüsesuppe war köstlich gewesen, doch das Rinderfilet hätte gern etwas zarter sein können – starteten sie in ihrem Jeep, verloren dann aber eine ganze Stunde, weil sie sich zunächst verfuhren und im Dschungel landeten. Das passierte ganz schnell. Die Asphaltstraße wurde zur Schotterfahrbahn, die Schotterfahrbahn zum Waldweg, der Waldweg zum Dschungelpfad. Ehe sie sich’s versahen, waren sie in einer Welt, in der, vom schmalen Trampelpfad abgesehen, nichts mehr an Menschenwerk erinnerte. Es ging nicht weiter. Sie stiegen aus und bestaunten mannshohe, zum Dickicht verschlungene Farne, von denen ihr Wagen einige niedergewalzt hatte, und gefallene Urwaldriesen, deren Bruchstellen dem Auge schwarze Fäulnis ebenso darboten wie kunstvoll gemaserte rötliche Flächen. »Holzhändler müßte man sein!« sagte Olaf, und das war nicht nur Selbstironie, nein, da war auch Sehnsucht im Spiel, eine plötzlich aufgetretene schmerzliche Sehnsucht nach vergangenen Tagen, in denen Schiffe für ihn nur dann eine Rolle gespielt hatten, wenn sie die Festmeter anlieferten, Rauli und Lenga, Kirsch und Teak, Pinie und Palisander, und er nichts zu tun gehabt hatte mit explodierender Fracht und verschwundenem Kupfer. Und mit Toten schon gar nicht. Sie sahen Blüten, weiße, gelbe, violette, rosafarbene, auch die Nationalblume der Chilenen, die fingerlange, kelchförmige, blutrote Copihue. Und Vögel hörten sie, lauschten ihren fröhlich, manchmal aber auch wehmütig klingenden Stimmen. Colibris flirrten durch die mit Modergeruch angefüllte Luft, und am Boden huschten Eidechsen zwischen den Farnschäften hin und her. Doch es gab auch die Tábanos, fast wespengroße lästige Insekten, und ganze Wolken von Mücken. »Hier werden die Herren Gutiérrez wohl nicht

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