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1992 Das Theunissen-Testament (SM)

1992 Das Theunissen-Testament (SM)

Titel: 1992 Das Theunissen-Testament (SM) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hinrich Matthiesen
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sein«, sagte Ernesto und schlug nach den Mücken, die ihn umschwärmten. Sie mußten etwa hundert Meter im Rückwärtsgang fahren, ehe sie wenden konnten. Am Ortsrand entdeckten sie eine Ansammlung armseliger Holzhäuser, fragten gleich im ersten. Die Frau, die am Herd gestanden hatte, kam mit vor die Tür und zeigte auf die dritte der in einer Reihe errichteten Behausungen. »Aber da werden Sie niemanden antreffen«, sagte sie. »Die alte Señora ist im letzten Jahr gestorben, und die Kinder haben es nicht mal für nötig gehalten, zur Beerdigung zu kommen. Es ist eine zerstrittene Familie.«
    »Wissen Sie«, fragte Federico, »ob es hier noch Leute gibt, die mit Hilario und Carlos befreundet waren?«
»Ignacio und Hernán, meine Söhne, waren oft mit den beiden zusammen, aber sie leben schon lange nicht mehr hier. Ignacio fährt zur See, und Hernán ist Minenarbeiter im Norden.«
»Die vier hatten doch bestimmt noch andere Freunde.« Die Frau überlegte. »Höchstens Umberto Flores.«
»Und wo finden wir ihn?«
»Er ist Tagelöhner auf einem Fundo , der einem Schweizer gehört. Er fährt jeden Tag dahin.«
Wo das Landgut lag, wußte sie nicht, aber sie beschrieb ihnen den Weg zu Umberto Flores’ Haus. Sie bedankten sich und fuhren in die angegebene Richtung. Innerhalb einer kleinen Siedlung, die von hohen Eukalyptusbäumen umstanden war, fanden sie es nach kurzer Suche.
Wieder eine Frau. »Maria Benita Flores, a sus órdenes, Señores « , hörten die drei. Das klang schön, klang fast wie ein Gedicht und ließ auf Gesprächsbereitschaft hoffen. Was sie dann erfuhren, war weder ein Fehlschlag noch ein Erfolg, aber es zwang sie zur Geduld, denn Maria Benitas Mann, Umberto, war mit seinem Patrón auf dem Viehmarkt von Temuco. Am Abend des nächsten Tages würde er zurückkommen.
Also warten. Sie beschlossen, die Zwischenzeit für eine Fahrt nach Petrohué zu nutzen, um dort jenes Hotel aufzusuchen, in dem Hilario Gutiérrez und der alte José Bahamondes sich getroffen hatten.
Auf der etwa fünfzig Kilometer langen Carretera zwischen Puerto Varas und Ensenada, dem ersten Teil der Strecke, fuhren sie fast ununterbrochen am LlanquihueSee entlang, der ihnen so groß erschien wie ein Meer. Am eindrucksvollsten jedoch war nicht der See selbst, sondern sein optisches Zusammenspiel mit dem hoch aufragenden Monte Osorno. Es sah aus, als stiege der zweieinhalbtausend Meter hohe Vulkan, der eine geometrisch fast exakte Kegelform hatte, direkt aus dem Wasser empor. »Wie hübsch und adrett seine Zipfelmütze!« rief Ernesto aus. Und in der Tat, die etwa fünfhundert Meter unterhalb des Gipfels ansetzende Schneekuppe bot mit ihrem von der Abendsonne angestrahlten alpinen Weiß einen prächtigen Anblick. Rechter Hand sahen sie einen zweiten Vulkan, den Monte Calbuco. Er war nicht ganz so hoch wie der Osorno und auch nicht so vollendet geformt. Ihr Wirt hatte ihnen erzählt, den letzten Ausbruch dieses Berges hatten die alten Leute der Umgebung noch miterlebt.
Gegen halb sechs erreichten sie Ensenada, hielten sich dort aber nicht auf, wollten möglichst noch vor Einbruch der Dunkelheit am Ziel sein.
Der Petrohué-Fluß, den sie zweimal überquerten, war nicht sehr breit, doch er gebärdete sich wie ein wilder Strom, zumal in seinem Bett gewaltige Felsblöcke aufragten, an denen, weil sie dem reißenden Wasser im Weg standen, die Gischt aufspritzte. Und dann der Todos-LosSantos-See! Nicht blau, sondern tiefgrün wie das Grün von Wiesen. Auch hier, wie schon auf dem LlanquihueSee, Boote, auch hier Wasserskiläufer und auch hier um den See herum die Berge, der Monte Tronado, der Cerro Puntiagudo und wieder, diesmal aus einer anderen Blickrichtung, der Monte Osorno.
Sie waren ausgestiegen, traten ans Ufer, und Olaf sagte: »Nun steht man hier an einer der schönsten Stellen, die es auf der Erde gibt, möchte die Uhr anhalten und bleiben, und was tut man statt dessen? Man läuft einem mysteriösen Schrotthändler hinterher!«
» Así es la vida « , erwiderte Federico. So ist das Leben. Und es kam nicht von ungefähr, daß er in seine Muttersprache zurückfiel. Auch ihn hatte das Erlebnis dieser Fahrt gepackt. Unterwegs, als sie in der Ferne den El Salto, den mächtigen Wasserfall des Petrohué-Flusses gesehen und sein Brausen gehört hatten, wäre er am liebsten hingefahren, hatte dann aber selbst gesagt: »Wir müssen weiter, müssen Gutiérrez finden, den einen oder den anderen, am besten beide.« Und wieder fuhren sie.
In

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