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1994 Jagdzeit in Deutschland (SM)

1994 Jagdzeit in Deutschland (SM)

Titel: 1994 Jagdzeit in Deutschland (SM) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hinrich Matthiesen
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entnehmen, daß sie in einen anderen Kellerraum ging und dort mit Flaschen hantierte. Glas klickte gegen Glas.
    Die wollen wohl ihren Sieg feiern, dachte er. Umso besser! Danach denken sie nicht mehr klar und sind auch körperlich angeschlagen.
    Die Tür wurde wieder geschlossen. Dann Schritte auf der Treppe, danach Stille.
Wein, dachte er. Was für herrliche Jahre müssen das für Kornmesser gewesen sein, damals in Wandlitz! Immer wieder erzählt er davon. Die Feste, die Diners, die Jagdausflüge. Alles in ganz großem Stil. Und hier im Westen tut man so, als ob es so was bei uns nie gegeben hatte. Vielleicht wären Frank und ich irgendwann nach Wandlitz abkommandiert worden und hätten da mithalten dürfen. Aber die Verräter sind uns dazwischengekommen, und zu ihnen gehört, auch wenn er schon vorher abgehauen ist, dieser verfluchte Kämmerer. Noch so ein Schwein, das den Sozialismus verraten hat. Na, wenigstens mußte er einen hohen Preis dafür zahlen. Damit ist sein Konto doch eigentlich ausgeglichen, und trotzdem kommt er nun daher und präsentiert uns sozusagen die Gegenrechnung, will Aufklärung über sein Baby und bestimmt auch Rache. Aber ich halte meinen Mund! Und wenn ich mir Fleisch und Kartoffeln und selbst noch das Glas Wasser verscherze, aus mir kriegt er nichts raus!
Höchstens … , Mensch, das wär’ was! Ich könnte ihm den Schock seines Lebens verpassen, ihm einen Brocken hinwerfen, an dem er lange zu beißen hatte. Daß es, wie in fast jedem Männergefängnis der Welt, so auch bei uns die ersatzweise Heranziehung von Knabenärschen gab, die freiwillig gewährte oder die gegen Entgelt gestattete oder, wie bei seinem Baby, die rabiat vollzogene. Nur daß es sich für Schöller gar nicht um einen Ersatz, sondern um das Gewünschte handelte, weil der Kerl eben anders gewebt war. Aber für Tilmann Kämmerer machte das keinen Unterschied, und er soll jedesmal geschrien haben wie am Spieß. Ja, das wär’ was! Wie er das wohl schlucken würde?
Verdammt, ich muß es wohl doch lieber lassen! Der Vater flippt womöglich aus und macht überhaupt keinen Unterschied mehr zwischen Frank und mir und den anderen anständigen Ehemaligen auf der einen und diesem Knabenschänder auf der anderen Seite, sondern sagt. Ihr seid alle schuld. Hättet ihr ihn nicht ins Gefängnis gesteckt, wäre er nie einem Schöller in die Hände gefallen. Ja, so argumentiert er vielleicht, und dann muß am Ende ich, weil er nur mich in seiner Gewalt hat, sämtliche Schweinereien ausbaden, die man mit dem Jungen angestellt hat. Wirklich, es kann sein, daß bei ihm die Sicherungen durchbrennen und er alles in einen einzigen Schuldtopf wirft, und der wird dann automatisch zum Maßstab für die Strafen, die er mir zudiktiert. Nein, ich schweige lieber.
Er legte die Fußfesseln beiseite, stand auf, setzte seine gymnastischen Übungen fort, Kniebeugen, Rumpfbeugen, Hocke, Grätsche, Armkreisen. Das Laufen entfiel. Dafür machte er Sprünge, kleine Schlußsprünge, bei denen die Matratze dafür sorgte, daß es nicht zu laut wurde.
Heftig atmend setzte er sich schließlich wieder hin. Erst jetzt bemerkte er eine zweite Öffnung im Schornstein. Sie befand sich ungefähr in Kniehöhe, jedoch nicht in derselben Wand wie die Sicherungsklappe, und war mit einem steinernen Deckel verschlossen, der in seiner Mitte – als Griff – eine Rille hatte.
Natürlich, dachte er, das ist das Loch für den Schornsteinfeger, damit er reingreifen und den Ruß entfernen kann.
Der Deckel war weiß gestrichen, wie die Wände, und vermutlich hatte er ihn deshalb übersehen. Er stand auf, trat an den Schornstein, bückte sich leicht, hob den Deckel heraus und sah in ein rußgeschwärztes Loch. Und dann machte er eine Entdeckung! Ursprünglich mußte die Öffnung umfangreicher gewesen sein. Irgendwann hatte man sie – bis auf das kleine Loch, vor dem jetzt der Deckel saß – dichtgemacht und den großen Zugang vielleicht woanders geschaffen. Zu seiner Freude sah er, daß man nur in Ziegelsteinstärke gemauert hatte, wobei dann auch noch, für ihn überraschend, die Steine nicht lagen, sondern standen.
Was seine Augen da erblickt hatten, prüfte er nun mit den Händen nach, griff in das schwarze Loch, tastete, führte schließlich den ganzen Arm in die Öffnung und befühlte die nur etwa fünf Zentimeter dicke provisorische Wand von innen, zog den Arm wieder heraus, sagte sich. Das Loch war früher riesig, sicher an die fünfzig mal fünfzig Zentimeter groß.

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