1994 Jagdzeit in Deutschland (SM)
Handeln im Affekt nennt man so was. Und schließlich darf man auch nicht vergessen, weshalb das Jüngelchen bei uns einsaß! Braust da, zusammen mit seinem Vater und zwei anderen Verrätern, bei Nacht und Nebel in einem Wahnsinnsfahrzeug gegen unsere Grenzanlagen! Und ich bin ganz sicher, der Vater hat Unterricht gegeben. In Fluchtkunde. Daß wir darüber Näheres erfahren mußten und wegen der akuten Gefährdung unserer Bürger beim Verhör auch mal ein bißchen drakonisch wurden, verstand sich von selbst. Aber ich bin doch kein Mörder!
Es geschah ganz automatisch, daß er den wuchtigen Bauernschrank öffnete, seine Sachen herausholte und den Koffer zu packen begann. Zwischendurch ging er ins Büro, beobachtete durchs Fenster, wie Bartolo sich auf dem Parkplatz von den beiden Alten verabschiedete, nutzte dessen Abwesenheit, um mit dem Flughafen zu telefonieren, erfuhr, daß am Nachmittag eine Maschine direkt nach Hamburg ging, bekam noch einen Platz. Dann wählte er wieder die Nummer von Max, erreichte ihn auch jetzt nicht.
Auf dem Rückweg in sein Zimmer lief er Bartolo in die Arme. Die Gewißheit, in Kürze das Ruder selbst in der Hand zu haben, hatte seine Stimmung aufgehellt, so daß er sogar zu einem kleinen Scherz aufgelegt war:
»Na, haben Sie die beiden zum Olivenpflücken angeheuert?«
»Das nun grad nicht. Sie wollten ein paar von unseren Bäumen haben, genauer gesagt, einen schmalen Lappen Land im Südosten.« Bartolo zeigte in die entsprechende Richtung.
»Und?«
»Ich hab’ gesagt, ich könnte das nicht entscheiden, das wäre Sache der Gesellschaft. Hab’ sie erst mal abgewimmelt. Die hatten sich gründlich vorbereitet, legten mir sogar die offiziellen Zeichnungen vor, die vom Katasteramt.«
»Das haben Sie gut gemacht, Bartolo! Wir denken gar nicht daran, Land abzugeben. Übrigens, ich hab’ vorhin, aber das wissen Sie ja, mit der Gesellschaft gesprochen. Ich muß heute nachmittag nach Madrid fliegen. Es ist Ihnen doch recht, wenn ich den Ford nehme, um zum Flughafen zu fahren?«
»Für ein, zwei Tage?«
»Nein, wahrscheinlich länger, eher ein, zwei Wochen.«
»Dann laß ich den Wagen da abholen. Geben Sie den Schlüssel am besten beim IBERIA-Schalter ab.«
»Mach’ ich.«
Er kehrte zurück in sein Zimmer, packte weiter.
Die Boeing 737 startete pünktlich. Er hatte noch einen Platz am Gang bekommen, auf den er bei längeren Flügen Wert legte, weil er dann wenigstens eins seiner langen Beine ausstrecken konnte. Als das fasten seat belt erloschen war, stand er auf, wollte sich aus der Pantry ein Mineralwasser holen, ging die Reihen entlang. Plötzlich stutzte er. Seit seinem Untertauchen war er darauf eingestellt, überraschend ein Gesicht vor sich zu haben, das er kannte, und nun gab es da eins! Allerdings war die Bekanntschaft erst wenige Stunden alt. Ein paar Schritte vor ihm saß die grauhaarige Señora im khakifarbenen Kleid, die – wie hatte Bartolo sich ausgedrückt? – zusammen mit ihrem Begleiter einen Lappen Land hatte kaufen wollen. Und jetzt war sie auf dem Weg nach Hamburg!
Auch sie schien sich zu erinnern, denn sie lächelte ihn kurz an, verhalten, beinahe mädchenhaft. Er nickte ihr zu, ging weiter, holte sich das Getränk und kehrte an seinen Platz zurück.
Als die Boeing die Alpen überflog, wußte er noch immer nicht, ob nur ein Zufall dafür gesorgt hatte, daß er dieser Frau, die noch am Morgen die ARBOLEDA besucht hatte, am Nachmittag desselben Tages auf einem Hamburg-Flug wieder begegnete, oder ob sich seinen schon vorhandenen Sorgen nun vielleicht eine weitere hinzugesellen würde.
Noch beim Start in Málaga hatte Luise Engert Freude und Stolz empfunden, war es ihr mit Rodrigos Hilfe doch gelungen, den Gesuchten binnen Tagesfrist ausfindig zu machen. Es gab keinen Zweifel, der Deutsche, den der Verwalter der Hacienda ihnen als Señor Bärwald vorgestellt hatte, war der Mann auf dem Foto, war Frank Kopjella, Ex-Stasi-Major, jetzt zwar gut ein Jahrzehnt älter, aber trotzdem deutlich zu erkennen.
Doch durch die neuerliche Begegnung mit ihm war ihrem Hochgefühl dann ein mächtiger Dämpfer versetzt worden. Sein plötzliches Wiederauftauchen war ihr ein Rätsel gewesen, und während des ganzen Fluges hatte sie sich mit der Frage herumgeschlagen, wie andererseits er den Umstand deuten mochte, daß sie in dieser Maschine saß. Sie war sogar auf den Gedanken verfallen, er habe Rodrigo und sie durchschaut, daher den Citroen verfolgt und sich kurzentschlossen ein Ticket für
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