1994 Jagdzeit in Deutschland (SM)
nicht aus getrocknetem Fleisch bestand, sondern aus Holz geschnitzt war. »Damit hätten Sie den Mann totschlagen können«, sagte er.
»Na und? Das hätte er auch verdient.«
»Was hat er denn getan?«
»Er hat sich an meine Nichte rangemacht. Sie ist vierzehn!«
»Aber Blanquita ist ein hübsches junges Mädchen.«
»Richtig, und er ist siebenundvierzig, verheiratet, Vater von sechs Kindern. Und er ist ein Saufkopf. In Alfarnatejo, da wohnt er, gilt er als Bock, der vor keiner Schürze haltmacht, egal, ob das Weib dahinter vierzehn oder vierzig ist.«
»Und das mit Blanquita können Sie beweisen?«
»Beweisen? Hab’ die beiden in der Küche erwischt, und die Situation war eindeutig. Was hat dieser Hurensohn überhaupt in der Küche zu suchen? Sein Platz ist draußen im Gelände.«
Bartolo, der noch immer sehr erregt war, nahm ihm den Ochsenziemer wieder ab. In diesem Moment kam ein Auto. Langsam rollte es auf den Parkplatz und hielt dann neben dem Ford. Es war der Citroen, den er überholt hatte. Das spanische Kennzeichen wie auch der Umstand, daß da zwei recht betagte Personen – der Mann in hellem Anzug, die Frau in khakifarbenem, sportlich geschnittenem Kleid – ausstiegen, sorgten dafür, daß er diesmal keinen Argwohn hatte. Er setzte sich nicht einmal die Sonnenbrille auf, die er schon vom Sattel genommen hatte, steckte sie statt dessen in die Jackentasche.
Die Vorstellung, bei der nur spanisch gesprochen wurde, ließ er noch über sich ergehen, gab den beiden sogar die Hand. Es waren nur wenige Worte, die er mitbekommen hatte, und auch sie erschienen ihm völlig harmlos, buenos días und Banco de Comercio und Señora Alicia. Er war nicht interessiert, nickte kurz, sagte – auf deutsch – zu Bartolo: »Ich zieh’ mich jetzt lieber zurück. Nehmen Sie die Geschichte mit Blanquita nicht so tragisch!«
Und verschwand.
In seinem Zimmer ging er auf und ab wie ein Tier in seinem Käfig. Stärker noch als während des Gesprächs mit Kornmesser drängte es ihn, seinen Fall selbst in die Hand zu nehmen.
Ich bin hier eingesperrt, bin zur Untätigkeit verdammt. Dabei spricht alles dafür, daß Lothar in größten Schwierigkeiten steckt. Was kann so ein Schreibstubenheld wie Henke da schon ausrichten? Der findet nicht mal das Fadenende, bei dem er anfangen müßte. Ich dagegen hätte eine Idee. Der Alte. Der Onkel. Den würde ich mir holen, und dann wäre es doch gelacht, wenn ich über ihn nicht rauskriegte, wo sein Neffe ist!
Ob ich mal in Leuna anrufe?
Doch so plötzlich, wie der Gedanke ihn überfallen hatte, verwarf er ihn auch wieder. Sollte es wirklich eine Abhöraktion geben, konnte ein solches Gespräch katastrophale Folgen haben.
Er hatte Durst, ging in die Küche, fand dort, auf einem Schemel kauernd, die in Tränen aufgelöste Blanquita vor. Ihm, der selbst Trost brauchte, war nicht nach Trösten zumute, und so holte er wortlos eine Dose Bier aus dem Eisschrank und ging wieder. Auf das Glas verzichtete er.
Er trank in gierigen Zügen, leerte die Dose im Nu, zerdrückte sie mit einer Hand, schleuderte sie in den Papierkorb. Und dann ging er wieder auf und ab, ohne Unterlaß.
Was hab’ ich denn eigentlich getan? Es war doch ein Malheur, ein Pech, ja, genaugenommen war es ein Unfall, den der Grünschnabel zu einem gehörigen Teil mitverschuldet hat. Mußte er mir unbedingt mit seiner blöden, theatralisch leisen Stimme sagen: »Ein Staat, der seinen Bürgern das Nachdenken verbietet, ist nicht wert, daß man ihn in eine Landkarte einzeichnet, denn sonst denken die Schulkinder in Sydney und Paris und Kopenhagen, wenn sie den Atlas aufschlagen, das wäre ein richtiges Land mit einer richtigen Regierung und richtigen Gesetzen.« Oder so ähnlich. Dieses widerlich soft-subversive Labern, das viel tückischer ist, als wenn jemand mir entgegenschleudert, ich sei ein Arschloch und Erich Honecker das Oberarschloch! Und dann sagte er noch, man solle diesen Schöller von ihm fernhalten, der täte ihm weh. Mein Gott, fernhalten, wehtun! Warum sagt er nicht wie andere Knackis. Schafft mir diesen Arschficker vom Hals, oder ich beiß’ ihm beim nächsten Mal den Schwanz ab! Nein, immer schön sanft, immer schön leise. Da mußte mir ja irgendwann der Kragen platzen! Und daß ich dann einen Karateschlag lang vergaß, daß das kein Holzbrett, sondern ein superfiligraner Knabenhals war, Herr des Himmels, daraus kann man mir doch heute keinen Strick drehen! Hab’ eben rot gesehen. War der Stier, den man gereizt hat.
Weitere Kostenlose Bücher