1994 Jagdzeit in Deutschland (SM)
mehr auf das Praktische gerichtet. Was ist unser nächster Schritt?«
Ihm fiel auf, daß sie unser sagte, und es tat ihm wohl. »Ihre Fotos«, erklärte er, »haben mich auf eine Idee gebracht. Wir könnten uns die Arbeit erleichtern, indem wir im Gästezimmer eine Videokamera installieren. Ich besorge eine und dazu ein Stativ. Sie wird so montiert, daß sie zwischen den Gardinenhälften hindurch auf Haus und Vorgarten gerichtet ist. Dann brauchen wir nicht unentwegt Wache zu halten.«
»Wie lange läuft so ein Ding?«
»Das kommt auf die Kassette an. Ich glaub’, eine Stunde ist das äußerste.«
»Aber dann muß man ja andauernd den Film wechseln!«
»Es gibt Kameras, die sich nur einschalten, wenn im Zielgebiet Bewegung entsteht. Ich schätze mal, unser heutiger Besucher war zehn Minuten da, und …«
»Eher fünf.«
»Na gut, fünf. Wir können also bei einer Stunde Laufzeit zwölf solcher Episoden filmen.«
»Fabelhaft!«
»Gleich morgen, nein, dann ist ja Sonntag, also übermorgen kauf ich so ein Gerät. Das Problem ist nur. Auf keinen Fall dürfen die Nachbarn mitkriegen, daß ich für eine Weile bei Ihnen ein und aus gehen werde.«
»Das lösen wir spielend, denn in meine Garage kann man vom Haus aus gelangen. Wenn Sie wegmüssen, kauern Sie sich im Auto hinten hin, und ich fahre. Später hol’ ich Sie an einem vereinbarten Treffpunkt wieder ab.«
»Und ich mute Ihnen damit wirklich nicht zuviel zu?«
»Ach was! Entweder sind wir ein Team, oder wir sind es nicht, und wenn ja, dann auch ganz.«
»Wie kann ich Ihnen das alles jemals danken?«
»Wissen Sie, jede Form von Unrecht setzt mir zu, macht mich regelrecht krank, und dann muß ich was tun. Das ist seit fünfzig Jahren so. Damals haben die Nazis meine beste Freundin abgeholt und ins KZ gesteckt. Sie kam nie wieder.«
»War sie Jüdin?«
»Nein. Sie gehörte zur studentischen Widerstandsbewegung um Professor Huber. In München.«
»Die Weiße Rose. «
»Ja. Also, übermorgen kaufen wir die Video-Kamera! Aber auch das Haus in der Jarrestraße sollte weiterhin beobachtet werden. Da der Schmächtige erfahren hat, daß die Geschwister Kopjella nicht verreist sind, wird er wiederkommen.«
»Sie haben recht. Ich könnte eine Detektei beauftragen, eine, die gut ausgerüstet ist, zum Beispiel mit einem getarnten Lieferwagen, aus dem heraus gefilmt wird, und dann fände in der Jarrestraße das gleiche statt wie hier. Aber das wichtigste ist, daß unser Mann verfolgt wird, sobald er das Haus wieder verlassen hat, damit wir erfahren, wo sein Standort ist. Es genügt nicht, ihn nur im Bild festzuhalten, wir müssen ihn auch auf andere Weise packen.«
»Sie meinen, direkt? Persönlich? Ihn also schnappen?« Sie unterstrich ihre Frage durch eine unmißverständliche Geste, hob die Arme ein Stück in die Höhe und deutete mit den geöffneten, einander zugekehrten Händen den ganz realen, den physischen Zugriff an.
»Ja«, erwiderte er, »denn nur wenn ich ihn in meiner Gewalt habe, wird er mir das, was ich von ihm wissen will, sagen.«
22
»Aber Papi, in einem Sommer zwei große Reisen? Das haben wir doch noch nie gemacht! Und die Ferien sind schon fast zu Ende!«
Mit seinen dreizehn Jahren war Norbert Dillinger ein aufgeweckter Junge, der seine Argumente raffiniert zu placieren wußte. So versuchte er, weil ihm die bevorstehende Fahrt nach Freiburg überhaupt nicht ins Programm paßte, den Vater zunächst mit dessen eigenen Waffen zu schlagen: »Du selbst hast neulich gesagt, man darf nicht mehr Geld ausgeben, als man hat.«
Sie waren in Norberts Zimmer beim Kofferpacken. Nebenan waren die Mutter und die elfjährige Regine auf die gleiche Weise beschäftigt. Die Eltern hatten den beklemmenden Hintergrund des plötzlichen Aufbruchs verschwiegen und den Kindern statt dessen erklärt, es gebe etwas Wichtiges mit Tante Vera zu besprechen. Dabei gehe es um das Grundstück in Berlin, über das innerhalb der Familie ja schon oft geredet worden sei.
»Du weißt doch, warum die Reise nötig ist«, sagte Hubert Dillinger zu seinem Sohn.
»Ja, aber man kann so was auch telefonisch machen. Ist sogar viel billiger.«
»Es gibt Gespräche, bei denen man sich besser gegenübersitzt.«
»Und warum fährt Mami nicht allein? Regine und ich werden dann ja doch nur rausgeschickt.«
»Norbert, ich versteh’ dich nicht! Ist doch schön, so eine Reise.«
Noch immer wollte der Junge nicht so recht heraus mit der Sprache, doch schließlich gab er sich einen Ruck
Weitere Kostenlose Bücher