Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
1994 Jagdzeit in Deutschland (SM)

1994 Jagdzeit in Deutschland (SM)

Titel: 1994 Jagdzeit in Deutschland (SM) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hinrich Matthiesen
Vom Netzwerk:
Pfund, doch da er selbst groß und kräftig war, empfand er ihr Kaliber von Anfang an als das seiner eigenen Physis angemessene.
Trotz der vorangegangenen langen Entbehrung war er ausdauernd, und sie dankte es ihm mit einer ganzen Serie von Seufzern, deren Lautstärke sich, worüber er froh war, in Grenzen hielt. Schließlich hauchte sie: »Ich kann nicht mehr«, und diese Mitteilung machte ihn besonders froh, weil er sie als Kompliment verstand. Er wußte es dann auch einzurichten, daß sie zu einem gemeinsamen Ende kamen.
Als sie sich schon wieder angezogen hatten und vorn saßen, ging ihm auf, daß sie das Küssen vergessen hatten, und er dachte: Wahrscheinlich hat auch das etwas zu tun mit der Ökonomie der Gelegenheit.
Er startete, und sobald sie in die Landstraße eingeschwenkt waren, fragte er: »Soll ich dich ins Hotel fahren, oder sind deine Leute noch in der VENTA?«
»Sie wollten auf mich warten.«
Er hätte gern gewußt, wie sie ihnen gegenüber ihren Aufbruch begründet hatte, fragte aber nicht danach.
Vor dem Gasthaus, auf dem Schotterplatz, kam es dann doch noch zu einem Kuß, und er gestand sich ein, daß ihm, wenn er unterblieben wäre, etwas gefehlt hätte an dem schönen Erlebnis.
Sie tauschten keine Adressen aus, was bei ihm ohnehin auf eine Lüge hinausgelaufen wäre, winkten einander noch einmal zu, und dann war sie hinter der Tür verschwunden.
Er machte sich auf den Heimweg, fand die Landschaft reizvoll und den Mond nicht mehr fade. Doch der Blick übers Tal lenkte seine Gedanken auch wieder zurück zu den grotesken Besitzverhältnissen, von denen er erfahren hatte.
Verrückt! dachte er. Das ist fast so wie bei uns zu Haus, wo zwar die lokalen Gegebenheiten durch Katasterzeichnungen eindeutig geklärt sind, aber die Eigentümer nicht feststehen. Nein, stimmt nicht! Bei uns ist es schlimmer. Wie viele DDR-Bürger, die jahrelang gespart und schließlich Haus und Grund erworben haben, müssen zum Kampf antreten gegen irgendwelche Westler, die Anspruch darauf erheben, weil ihren Eltern oder Großeltern ebendieses Haus und ebendieses Land mal gehört haben, in grauer Vorzeit! Auch das haben die Wendehälse auf dem Gewissen, daß nun die bundesrepublikanischen Brüder und Schwestern bei uns auf der Matte stehen, mit ihren vergilbten Grundbuchauszügen wedeln und uns das Fürchten lehren. Scheiß-Wende! Scheiß-Einig-Vaterland!
Er und seine Familie hatten Glück gehabt. Ihr Haus am Rande Berlins konnte ihnen niemand streitig machen. Es gehörte Else, und es hatte vorher ihren Eltern gehört, die den Grund und Boden von der Gemeinde gekauft und dann darauf gebaut hatten. Aber die Schwester, bei der Else in Leuna untergekommen war, und deren Mann hatten ihr Eigentum ein zweites Mal bezahlen müssen und waren nun hoch verschuldet.
Als er die Hacienda erreichte, war es schon nach Mitternacht. Er stellte den Wagen ab und betrat das Haus. Er war hungrig geworden, ging zur Speisekammer, aß ein Paar Scheiben Schweinebraten und nicht weniger als vierzehn Oliven. Da sie sehr salzig waren, nahm er eine große Flasche Mineralwasser mit ins Zimmer. Er duschte, legte sich ins Bett. Zwar war wegen der Umstände und besonders wegen eines gewissen Paul Kämmerer seine Welt nicht in Ordnung, aber er fühlte sich gut.

27
    »Aufwachen, Schwesterherz! Wir sind gleich da!« Oswald und Annegret Kopjella kehrten von der Reise zurück. Sie hatten ihre Mutter in Leuna besucht, waren dort um sechs Uhr abends gestartet und hatten die knapp fünfhundert Kilometer lange Strecke ohne Pause hinter sich gebracht. Nur einmal, nach drei Stunden Fahrt, waren sie für einen kurzen Stopp ausgeschert, weil Annegret, die bis dahin neben ihrem Bruder gesessen hatte, sich auf den Rücksitzen hinlegen wollte. Trotz der harten Federung des Wagens war sie bald darauf eingeschlafen. Nun richtete sie sich auf, kippte aber gleich wieder um, weil Oswald viel zu forsch in die Janestraße einbog.
    »Hast du ’n Rad ab?« rief sie, als sie wieder saß.
    »Dann hätt’ ich die Kurve wohl kaum so elegant nehmen können. Siehst du was?«
Mit dieser Frage begann die Parkplatzsuche. Diesmal hatten sie Glück. Nur etwa zwanzig Schritte von ihrem Eingang entfernt sahen beide gleichzeitig die Lücke. Oswald manövrierte den Wagen hinein, und sie stiegen aus. Dann ging es, jeder mit einem Koffer in der Hand, ins Haus. Bevor sie die vielen Treppen in Angriff nahmen, leerte Annegret den Briefkasten. Ein Anzeigenblatt und zwei Drucksachen, das war alles. Aber

Weitere Kostenlose Bücher