1994 Jagdzeit in Deutschland (SM)
Studenten. Ihnen allen war gekündigt worden, weil die Wohnung renoviert und dann verkauft werden sollte. Einer der Studenten hatte es auf einen Prozeß ankommen lassen wollen, aber die übrigen waren aus Angst vor den Kosten nicht dazu bereit, und so war es zum gemeinsamen Auszug gekommen. Annegret war bei ihrem Bruder untergeschlüpft, was er ihr allerdings nur deshalb erlaubte, weil er sich kurz zuvor von seiner Freundin getrennt hatte. »Wenn wir uns die Miete teilen«, hatte er gesagt, »kannst du erst mal zu mir kommen, aber nicht auf Dauer.«
Sie hatte sich von Anfang an bemüht, wieder etwas Eigenes zu finden, hatte die Kollegen von der Post und Kommilitonen befragt, den Wohnungsmarkt in den Zeitungen studiert und ihren Wunsch am Schwarzen Brett der Uni bekanntgemacht, wo ihr kleiner weißer Zettel allerdings einer von hundert Hilferufen war. Zweimal hatte sie auch schon selbst inseriert, aber nicht ein einziges Angebot erhalten. Auf keinen Fall wollte sie den Weg wählen, der einer Freundin eingefallen war. Deren Zeitungsannonce hatte gelautet: »Hübsche Studentin sucht dringend kleine Wohnung. Spezielle Dienste werden gern geleistet.«
Innerhalb einer Woche waren ihr vier Angebote auf den Tisch geflattert, und bei der Auswahl hatte sie sich weniger an der Beschaffenheit der Wohnung als an der des Vermieters orientiert. Sie, Annegret, hatte der aus Weimar stammenden Freundin Vorhaltungen gemacht und daraufhin die Antwort bekommen:
»Das ist die einzige Währung, in der ich bei den Westlern mithalten kann. Also tu’ ich’s.«
Die Wohnung in der Jarrestraße hatte zwei Zimmer, Küche und Bad und kostete achthundert Mark. Das war schon mal ein gehöriger Batzen, aber zum Glück hatten sie ihre Jobs, die ihnen jeweils einen halben Tausender im Monat zusätzlich einbrachten. Vom Vater bekam jeder vierhundert Mark, so daß sie mit diesem Zuschuß, Bafög und Arbeitslohn ganz gut über die Runden kamen.
Oswald brachte seiner Schwester den Kaffee. Sie hatte sich schon umgezogen, trug jetzt einen schwarzen Schlafanzug, der ihr gut stand. Sie hatte prächtiges blondes, bis auf die Schultern fallendes Haar und einen zwar blassen, aber makellosen Teint. Die grauen Augen hatte sie von der Mutter, ebenso das klare Profil, den vollippigen Mund dagegen vom Vater. Unter den Mitstudenten galt sie als attraktiver Ost-Import, zumal sie, im Gegensatz zu so vielen Kommilitoninnen, nie nachlässig gekleidet war.
Ihr Bruder ähnelte in fast allen äußeren Merkmalen dem Vater. Er war groß, dunkelhaarig, hatte dichte Brauen über den Augen, volle Lippen und ein energisches Kinn.
Er hatte sich noch nicht umgezogen, sondern trug das, was er auch auf der Fahrt angehabt hatte, blaue Jeans, gelbes T-Shirt, weiße Turnschuhe.
»Danke«, sagte sie und nahm ihm den bis zum Rand gefüllten Becher ab. »Und wo ist dein Kaffee?«
»Ich trink’ ihn bei mir, will noch an meine Seminararbeit.«
Er drehte sich um, und in diesem Moment läutete es.
»Nanu«, sagte er und ging in den Flur, rief in die Sprechanlage: »Wer ist da?«
»Entschuldigen Sie bitte die Störung«, hörte er, »aber ich habe schon tagelang versucht, Sie zu erreichen. Nun sehe ich Licht bei Ihnen und würde gern kurz raufkommen. Mein Name ist Granzow. Ich bin von der Kriminalpolizei.«
»Aber«, antwortete Oswald, »wir können zu dem Diebstahl bei Frau Weigand nicht das Geringste sagen. Wir waren verreist.«
»Damit hat mein Besuch nichts zu tun. Es geht um etwas anderes.«
»Worum denn?«
»Das sag’ ich Ihnen, wenn ich oben bin.«
Oswald drückte auf den Knopf, ging zurück zu seiner Schwester und erzählte ihr, wer gleich in der Tür stehen werde.
»Die Kriminalpolizei?« Ihre Stirn krauste sich. Nur allzu deutlich waren ihr jene ersten Wochen nach der Wende in Erinnerung, in denen bei ihnen zu Hause immer wieder die Polizei erschienen war, um nach dem Vater zu fragen. »Ruhig Blut, Schwesterherz! Wir haben nichts verbrochen, und also kann man uns nichts anhaben.«
»Vielleicht ist mit Vater was passiert.«
»Dann wäre Mutter längst informiert worden. Der Polizeimensch sagte, daß er tagelang versucht hat, uns zu erreichen.«
Sie hörten die Schritte auf der Treppe. Oswald ging in den Flur, ließ den Besucher herein, und da wußte er schon mal, wer einer der drei Männer war, von denen Yussuf gesprochen hatte.
Sie gingen zu Annegret, die schnell in ihren Bademantel geschlüpft war.
»Meine Name ist Granzow«, sagte der Mann nun auch zu ihr und zeigte seinen Ausweis
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