Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

1Q84: Buch 1&2

Titel: 1Q84: Buch 1&2 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Haruki Murakami
Vom Netzwerk:
haben«, sagte die alte Dame ruhig. Ihrem Tonfall nach hätte sie auch sagen können, »weggeräumt«, jedenfalls klang es, als sei von einem Möbelstück die Rede.
    »In vier Tagen werden es zwei Monate«, antwortete Aomame.
    »Zwei Monate sind nicht genug«, sagte die alte Dame. »Deshalb würde ich Sie nur höchst ungern schon mit der nächsten Aktion betrauen. Ich möchte, dass mindestens ein Zeitraum von einem halben Jahr vergeht. Sind die Abstände zu knapp, wird die seelische Belastung für Sie zu groß. Schließlich ist das ja nichts Alltägliches. Außerdem könnte sich vielleicht jemand fragen, ob die Quote der Männer, die etwas mit unserem Frauenhaus zu tun haben und an Herzversagen sterben, nicht ein bisschen zu hoch ist.«
    Aomame lächelte leicht. »Denn es gibt viele argwöhnische Menschen auf der Welt.«
    Auch die alte Dame lächelte. »Sie wissen, ich bin ein sehr vorsichtiger Mensch. Ich verlasse mich weder auf den Zufall noch auf irgendwelche Prognosen oder das Glück. Stattdessen ziehe ich auch noch die letzte der letzten Eventualitäten in Betracht und entscheide mich erst, wenn alle Zweifel ausgeräumt sind. Wenn ich es durchführe, habe ich bereits alle nur möglichen Risiken ausgeschlossen. Sämtliche Faktoren minutiös berechnet, alle Vorbereitungen getroffen. Erst wenn ich vollkommen von der Durchführbarkeit des Unternehmens überzeugt bin, wende ich mich an Sie. Daher ist bislang auch nicht der Hauch eines Problems aufgetreten. Nicht wahr?«
    »So ist es«, pflichtete Aomame ihr bei, und es stimmte. Sie begab sich mit ihrem Eispick in der Tasche an einen vereinbarten Ort. Alles war detailliert im Voraus geplant. Sie rammte die spitze Nadel in den gewissen Punkt im Nacken des Opfers. Nachdem sie sich vergewissert hatte, dass sie es »aus dem Weg geräumt« hatte, verschwand sie. Alle bisherigen Fälle waren genau nach Plan verlaufen.
    »Die Person, um die es diesmal geht, bereitet mir großes Kopfzerbrechen, vor allem auch wegen Ihnen. Leider werde ich wohl nicht darum herumkommen, Ihnen etwas sehr Schweres abzuverlangen. Das Programm ist nicht genügend ausgereift, es gibt viele unsichere Faktoren, und es besteht die Möglichkeit, dass wir nicht nach dem bisherigen Muster vorgehen können. Die Situation ist eine etwas andere als sonst.«
    »In welcher Hinsicht?«
    »Es handelt sich um keinen gewöhnlichen Mann«, sagte die alte Dame nachdrücklich. »Zum einen wird er stark bewacht.«
    »Ist er ein Politiker oder so was?«
    Die alte Dame schüttelte den Kopf. »Nein, kein Politiker. Wir werden später noch darüber sprechen. Ich habe gründlich nachgedacht, wie ich es vermeiden könnte, Sie zu schicken. Aber wie ich es auch drehe und wende, nichts scheint richtig funktionieren zu wollen. Es tut mir leid, aber mir fällt nichts anderes ein, als Sie zu bitten.«
    »Ist denn besondere Eile geboten?«, fragte Aomame.
    »Nein. Es gibt keinen bestimmten Termin, bis zu dem wir handeln müssen. Allerdings haben wir auch nicht unendlich viel Zeit. Wenn wir zu spät handeln, könnte es noch mehr Opfer geben. Außerdem ist die Gelegenheit, an den Mann heranzukommen, begrenzt. Und wir können nicht vorausberechnen, wann die nächste sich ergeben wird.«
    Vor dem Fenster war es nun ganz dunkel, und es herrschte Stille um den Wintergarten. Ob die Monde schon aufgegangen waren? Aomame konnte von ihrem Platz aus nicht nach draußen sehen.
    »Ich will Ihnen die Situation so eingehend wie möglich erklären«, fuhr die alte Dame fort. »Doch davor möchte ich, dass Sie jemanden kennenlernen. Wir beide werden uns jetzt gleich mit ihr treffen.«
    »Lebt sie im Frauenhaus?«, fragte Aomame.
    Die alte Dame holte langsam Luft, und ein kleiner Laut entrang sich ihrer Kehle. In ihre Augen trat ein besonderes Leuchten, das dort sonst nicht zu sehen war.
    »Die Beratungsstelle hat sie vor sechs Wochen zu uns geschickt. Vier Wochen lang war sie total geistesabwesend und hat kein Wort gesprochen. Sie hatte völlig die Sprache verloren. Alles, was wir wussten, war ihr Name und ihr Alter. Sie hat am Bahnhof übernachtet und ist in einem ziemlich schlimmen Zustand aufgegriffen worden. Nachdem man sie von einer Stelle zur anderen geschickt hatte, wurde sie schließlich zu uns gebracht. Ich habe mir viel Zeit genommen und immer wieder behutsam versucht, mit ihr zu reden. Es hat lange gedauert, ihr begreiflich zu machen, dass sie bei uns in Sicherheit ist und keine Angst mehr zu haben braucht. Inzwischen spricht sie ein

Weitere Kostenlose Bücher