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1Q84: Buch 1&2

Titel: 1Q84: Buch 1&2 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Haruki Murakami
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Polizei, ebenso wie in Tamakis Fall, den Mann nicht mit rechtlichen Mitteln zur Verantwortung ziehen. Außerdem gehörte er der besseren Gesellschaft an und hatte sich einen bekannten Anwalt genommen. Die Ehefrau konnte keine Anklage mehr erheben, sie war ja tot. Hinzu kam, dass die Todesursache zweifelsfrei Selbstmord war.
    »Und diesen Mann haben Sie umbringen lassen?«, fragte Aomame eindringlich.
    »Nein, getötet habe ich ihn nicht«, sagte die alte Dame.
    Aomame konnte ihr nicht folgen und sah sie nur stumm an.
    »Der frühere Mann meiner Tochter, dieses niederträchtige Subjekt, ist noch am Leben. Er wacht jeden Morgen in seinem Bett auf und läuft auf beiden Beinen durch die Gegend. Ich habe auch nicht die Absicht, ihn töten zu lassen.« Die alte Dame machte eine Pause. Sie wartete, bis ihre Worte bei Aomame angekommen waren.
    »Ich habe meinem früheren Schwiegersohn etwas viel Schlimmeres angetan. Ich habe ihn gesellschaftlich und beruflich ruiniert. Das hat ihn völlig fertiggemacht. Zufällig hatte ich die Macht dazu. Dieser Mann ist ein Schwächling. An sich ist er recht intelligent, kann gut reden und hatte es auch zu einigem Erfolg gebracht, doch im Grunde ist er ein erbärmlicher Waschlappen. Männer, die ihre Frauen und Kinder misshandeln, haben immer eine schwache Persönlichkeit. Und weil sie selbst schwach sind, müssen sie sich noch Schwächere suchen, denn ohne Opfer kommen sie nicht aus. Ihn zu ruinieren war ganz leicht. Ist ein solcher Mann einmal erledigt, kommt er niemals wieder auf die Füße. Der Tod meiner Tochter liegt nun schon längere Zeit zurück, und dennoch lasse ich diesen Mann nicht aus den Augen. Sobald er versucht, nach oben zu kommen, verhindere ich es. Er ist noch am Leben, aber praktisch wie tot. Er bringt sich nicht um, denn er hat nicht den Mut, den man dazu braucht. Ich töte ihn nicht einfach, ich mache ihn auf meine Art kaputt. Ich quäle ihn gnadenlos und unaufhörlich, aber ich füge ihm keine tödlichen Wunden zu. Es ist, als zöge ich ihm bei lebendigem Leibe die Haut ab. Aber ich habe meine Gründe dafür.«
    Die alte Dame hatte Aomame noch mehr zu berichten. Im Jahr nach dem Selbstmord ihrer Tochter hatte sie für Frauen, die wie diese Opfer häuslicher Gewalt waren, ein privates Frauenhaus eingerichtet. In der Nähe ihrer Villa in Azabu besaß sie ein kleines einstöckiges Apartmenthaus, das leer stand und über kurz oder lang abgerissen worden wäre. Das Gebäude ließ sich leicht sanieren, und sie beschloss, es zu einer Zuflucht für Frauen zu machen, die ihre Bleibe verloren hatten. Ein Anwalt aus der Stadt übernahm den Vorsitz und richtete eine »Beratungsstelle für Opfer häuslicher Gewalt« ein. Ehrenamtliche Mitarbeiter erteilten abwechselnd persönliche und telefonische Beratung. Es gab auch eine Telefonverbindung zum Haus der alten Dame. Ins Frauenhaus wurden diejenigen aufgenommen, die sofort eine Unterkunft brauchten. In vielen Fällen hatten sie kleine Kinder. Darunter zehnjährige Mädchen, die sexuellen Übergriffen seitens ihrer Väter ausgesetzt gewesen waren. Sie konnten bleiben, bis ihre Situation sich geklärt hatte, und wurden mit allem ausgestattet, was sie an Lebensmitteln und Kleidung benötigten. Die Frauen führten eine Art Gemeinschaftsleben, bei dem sie sich gegenseitig unterstützten. Die Kosten bestritt die alte Dame aus ihrem Vermögen.
    Der Anwalt und die Berater statteten dem Frauenhaus regelmäßig Besuche ab, kümmerten sich um die Frauen und besprachen künftige Maßnahmen mit ihnen. Auch die alte Dame kam vorbei, wenn sie Zeit hatte, unterhielt sich mit Einzelnen und gab ihnen Ratschläge. Es kam auch vor, dass sie Arbeitsplätze und Wohnungen für sie suchte. Ärger, der eine physische Intervention notwendig machte – zum Beispiel, falls ein Mann seine Frau mit Gewalt zurückholen wollte –, überließ man Tamaru, der auf seine Weise damit umging. Es gab wohl niemanden, der mit solchen Dingen wirkungsvoller und schneller fertig werden konnte als Tamaru.
    »Allerdings gibt es Fälle, mit denen Tamaru und ich allein nicht fertig werden. Da hilft uns auch kein Gesetz«, sagte die alte Dame.
    Aomame sah, dass das Gesicht der alten Dame beim Reden einen besonderen goldbronzenen Glanz angenommen hatte. Der übliche warme und vornehme Ausdruck war immer mehr daraus gewichen und schließlich ganz verschwunden. An seine Stelle war etwas getreten, das über bloße Furcht oder Abneigung hinausging. Vielleicht war es das Innerste

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