1Q84: Buch 1&2
trank von ihrem Kaffee.
»Haben Sie ein Bankkonto?«, fragte die alte Dame.
»Auf meinem Girokonto sind sechshunderttausend Yen. Dann habe ich noch zwei Millionen Yen Festgeld.«
Die alte Dame überdachte die Summe. »Von dem Girokonto können Sie ruhig über mehrere Male verteilt bis etwa vierhunderttausend Yen abheben. Das Festgeld rühren Sie lieber nicht an. Es wäre nicht ratsam, es unvermittelt zu kündigen. Wahrscheinlich überprüfen diese Leute Ihr Privatleben. Wir können nicht vorsichtig genug sein. Ich decke das später ab. Besitzen Sie sonst noch irgendwelche Vermögenswerte?«
»Das Geld, das ich bisher von Ihnen erhalten habe, liegt in einem Bankschließfach.«
»Nehmen Sie es heraus und überlegen Sie sich ein geeignetes Versteck, aber bewahren Sie es nicht in Ihrer Wohnung auf.«
»In Ordnung.«
»Das wäre alles, um was ich Sie im Augenblick bitte. Ansonsten verhalten Sie sich wie immer. Sie behalten Ihren Lebensstil bei und unternehmen nichts, was Aufmerksamkeit erregen könnte. Und erwähnen Sie die Mission möglichst nicht am Telefon.«
Nach dieser Rede ließ die alte Dame sich in den Sessel zurücksinken. Offenbar hatte diese Rede sie ihre gesamte Energie gekostet.
»Steht der Termin schon fest?«
»Leider kann ich Ihnen dazu noch nichts sagen«, sagte die alte Dame. »Wir warten noch auf Rückmeldung. Die Umstände stehen fest, aber über den Zeitplan wird erst in letzter Minute entschieden. Es könnte in einer Woche sein oder erst in einem Monat. Auch wo die Begegnung stattfinden soll, ist unklar. Ich weiß, das ist nervenaufreibend, aber ich muss Sie bitten zu warten.«
»Warten macht mir nichts aus«, sagte Aomame. »Aber könnten Sie mir nicht in groben Zügen erklären, auf welche Situation ich mich einstellen muss?«
»Sie werden dem Mann ein reguläres Stretching verpassen«, sagte die alte Dame. »Sie tun das, was Sie immer tun. Er hat irgendein physisches Problem. Es ist nicht lebensbedrohlich, aber soweit ich gehört habe, verursacht es verhältnismäßig große Schmerzen. Um dieses ›Problem‹ zu lösen, hat er bereits alle möglichen Therapien ausprobiert. Neben einer normalen ärztlichen Behandlung auch Shiatsu, Akupunktur, Massagen und so fort. Bisher jedoch ohne Erfolg. Dieses Leiden ist die Schwachstelle des sogenannten ›Leaders‹, an der wir ansetzen können.«
Die alte Dame saß mit dem Rücken zum Fenster. Die Vorhänge waren zugezogen. Auch wenn die Monde nicht sichtbar waren, spürte Aomame ihren kalten Blick auf der Haut. Es war, als würde ihr verschwörerisches Schweigen sich bis zu ihr in das Zimmer hineinstehlen.
»Wir haben einen V-Mann in der Sekte. Über ihn habe ich die Information eingeschleust, dass Sie eine ausgezeichnete Stretching-Expertin seien. Was nicht sehr schwierig war, denn das sind Sie ja wirklich. Unsere Zielperson hat großes Interesse an Ihnen. Anfangs wollte er Sie in sein Hauptquartier nach Yamanashi bestellen, doch aus beruflichen Gründen sind Sie in Tokio unabkömmlich. Das ist der augenblickliche Stand der Dinge. Der Leader fährt in der Regel einmal im Monat nach Tokio, um Sachen zu erledigen. Bei diesen Gelegenheiten übernachtet er inkognito in einem Hotel in der Stadt. Dort soll auch das Stretching stattfinden, und Sie tun das Übliche .«
Aomame stellte sich die Szene vor. Ein Hotelzimmer. Ein Mann liegt auf der Yogamatte, und sie dehnt seine Muskulatur. Sein Gesicht kann sie nicht sehen. Der Nacken des auf dem Bauch liegenden Mannes weist schutzlos in ihre Richtung. Sie streckt die Hand aus und nimmt ihren Eispick aus der Tasche.
»Wir werden allein im Raum sein?«, fragte Aomame.
Die alte Dame nickte. »Der Leader will nicht, dass jemand aus seiner Gemeinschaft sein körperliches Leiden sieht. Deshalb wird es keine Zeugen geben. Nur Sie beide werden im Zimmer sein.«
»Diese Leute kennen also bereits meinen Namen und meinen Beruf?«
»Ja, und sie sind äußerst argwöhnisch und haben Sie und alles, was Sie betrifft, genauestens unter die Lupe genommen. Aber offenbar gibt es da kein Problem. Gestern erreichte mich die Nachricht, dass er Sie in seinem Hotel in der Stadt empfangen will. Der genaue Ort und die Uhrzeit hängen von seinen Plänen ab und werden uns noch mitgeteilt.«
»Aber werden die mich nicht durch meine Besuche hier mit Ihnen in Verbindung bringen?«
»Ich bin Mitglied des Sportstudios, in dem Sie beschäftigt sind, und erhalte Privatstunden von Ihnen. Mehr nicht. Es gibt keinen Grund, daraus auf
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