1Q84: Buch 1&2
tödlich zu verwunden. Man kann nie vorsichtig genug damit umgehen. So mancher würde mich auslachen, weil er mich für übervorsichtig hält. Aber es kommt immer wieder zu den idiotischsten Unfällen, und die Opfer sind meist Leute, die andere wegen ihrer Vorsicht verspottet haben.«
Tamaru zog eine Plastiktüte aus seiner Jacketttasche. Darin befanden sich sieben neue Patronen. Er legte sie auf den Tisch. »Wie du siehst, ist die Pistole im Moment nicht geladen. Das Magazin ist eingesetzt, aber es ist leer. Keine Patronen darin.«
Aomame nickte.
»Nimm sie als persönliches Geschenk von mir. Für den Fall, dass du sie nicht benutzt, hätte ich sie allerdings gern zurück.«
»Selbstverständlich«, sagte Aomame heiser. »Aber es hat doch sicher Geld gekostet, sie zu beschaffen?«
»Darüber brauchst du dir keine Gedanken zu machen«, sagte Tamaru. »Du hast genügend andere Sorgen. Wenden wir uns mal der Pistole zu. Hast du schon mal geschossen?«
Aomame schüttelte den Kopf. »Noch nie.«
»Im Grunde ist ein Revolver leichter zu handhaben als eine Automatik. Besonders für einen Laien. Sein Aufbau ist unkompliziert und die Bedienung leicht zu erlernen. Aber ein einigermaßen effizienter Revolver ist auch voluminös und ziemlich unhandlich zu tragen. Deshalb ist eine Automatik besser. Das hier ist eine HK 4 von Heckler & Koch. Ein deutsches Fabrikat. Ohne Munition wiegt sie 480 Gramm. Sie ist klein und leicht, hat aber durch die 9-mm-Patronen große Durchschlagskraft. Außerdem hat sie einen geringen Rückstoß. Hohe Treffsicherheit ist auf größere Distanz nicht zu erwarten, aber für den Zweck, den du im Sinn hast, ist sie genau richtig. Die Firma Heckler & Koch wurde nach dem Krieg gegründet. Das Modell HK 4 basiert auf der berühmten Mauser HSc, die schon vor dem Zweiten Weltkrieg verwendet wurde. Seit 1968 wird die Produktion fortgeführt und ist auch heute noch Standard. Die HK 4 ist eine sehr zuverlässige Waffe. Diese hier ist nicht neu, aber ihre vorherigen Besitzer sind offensichtlich vernünftig mit ihr umgegangen und haben sie gut gepflegt. Mit einer Pistole ist es wie mit einem Auto – auf ein gebrauchtes Modell von guter Qualität kann man sich oft eher verlassen als auf ein nagelneues.«
Tamaru nahm Aomame die Pistole aus der Hand, um ihr die Bedienung zu erklären. Wie man sie sicherte, wie man sie entsicherte. Wie man den Magazinhebel löste, das Magazin herausnahm und wieder hineinschob.
»Wenn du das Magazin herausnimmst, sollte die Pistole unbedingt gesichert sein. Zuerst ziehst du den Schlitten zurück, und die Patrone, die in der Kammer ist, wird ausgeworfen. Im Moment ist keine drin, also wird auch nichts ausgeworfen. Der Schlitten steht nun offen. Jetzt drückst du den Abzug. So. Dadurch schließt sich der Schlitten. Nun ist der Hahn gespannt. Wenn du dann noch einmal abdrückst, schlägt er nach unten. Dann schiebst du das neue Magazin ein.«
Tamaru führte den Vorgang mit raschen geübten Handgriffen durch. Dann wiederholte er ihn ganz langsam, indem er jede einzelne Bewegung beschrieb. Aomame sah begierig zu.
»Jetzt versuch du mal.«
Aomame nahm das Magazin vorsichtig heraus, zog den Schlitten zurück, leerte die Kammer, entspannte den Hahn und schob das Magazin wieder hinein.
»Das genügt.« Tamaru zog das Magazin wieder heraus, füllte es sorgsam mit den sieben Patronen auf und führte es mit einem lauten Schnappen wieder in die Waffe ein. Er zog den Schlitten zurück und beförderte eine Patrone in die Kammer. Dann sicherte er die Waffe, indem er den kleinen Hebel an der linken Seite umlegte.
»Wir machen noch mal das Gleiche wie eben. Diesmal ist sie geladen. Auch in der Kammer ist eine Patrone. Die Waffe ist zwar gesichert, dennoch sollte man sie nie auf einen Menschen richten«, sagte Tamaru.
Aomame nahm die geladene Pistole. Sie war jetzt nicht mehr so leicht wie zuvor. Man konnte spüren, dass sie den Tod in sich trug. Sie war ein Präzisionswerkzeug, geschaffen, um Menschen zu töten. Aomame brach unter den Achseln der Schweiß aus.
Nachdem sie sich noch einmal vergewissert hatte, dass die Pistole gesichert war, betätigte sie den Hebel, nahm das Magazin heraus und legte es auf den Tisch. Dann zog sie den Schlitten zurück. Die Patrone sprang aus der Kammer und fiel klappernd auf den Holzfußboden. Sie drückte den Abzug, der Schlitten schloss sich, sie drückte erneut den Abzug und beförderte den gespannten Hahn an seine ursprüngliche Stelle zurück.
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