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1Q84: Buch 1&2

Titel: 1Q84: Buch 1&2 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Haruki Murakami
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ihm davon erzählt. »Schau doch mal kurz aus dem Fenster und sieh dir den Himmel an. Und? Wie viele Monde siehst du? Von hier aus sind es ganz eindeutig zwei. Und bei dir?«
    Aber Aomame hatte niemanden, den sie anrufen konnte. Ayumi wäre vielleicht in Frage gekommen, doch sie wollte ihre Beziehung nicht vertiefen. Die Frau war Polizistin, und Aomame würde in nicht allzu ferner Zukunft einen weiteren Mann töten, ihr Gesicht und ihren Namen ändern, in eine andere Gegend ziehen und nicht mehr existieren. Selbstverständlich würde sie Ayumi nie wiedersehen. Nie mehr würde sie Verbindung zu ihr aufnehmen können. Hätten sie einmal Freundschaft geschlossen, wäre dieses Band schwer zu durchtrennen.
    Aomame ging in die Wohnung zurück, schloss die Glastür und schaltete die Klimaanlage ein. Sie zog die Vorhänge zu und schuf so eine Barriere zwischen sich und den Monden. Sie störten nicht nur ihr seelisches Gleichgewicht, sie veränderten auch die Erdanziehungskraft und beeinflussten dadurch die Vorgänge in ihrem eigenen Körper. Ihre Periode lag noch vor ihr, aber ihr Körper fühlte sich seltsam matt und schwer an. Ihre Haut war trocken, und ihr Puls schlug in einem unnatürlichen Rhythmus. Aomame wollte nicht mehr über die Monde nachdenken. Auch wenn sie etwas waren, über das sie nachdenken musste .
    Um ihre Mattheit zu bekämpfen, machte Aomame Dehnübungen auf dem Teppich. Sie nahm sich die Muskeln vor, die sie im Alltag kaum benutzte, und trainierte sie ausgiebig. Die Muskeln stießen stumme Schreie aus, und der Schweiß floss in Strömen. Aomame hatte ein eigenes Stretching-Programm entwickelt, an dem sie täglich arbeitete, bis es so extrem und effizient war, dass es am Ende nur noch für sie selbst geeignet war. In ihren Kursen im Fitnessclub konnte sie so etwas nicht verwenden. Normale Menschen hätten diese Anstrengung und die damit verbundenen Schmerzen gar nicht ertragen. Sogar die meisten anderen Trainer stöhnten dabei.
    Während Aomame ihre Übungen absolvierte, hörte sie die Platte mit Janáčeks Sinfonietta , gespielt unter der Leitung von George Szell. Das Stück endete nach ungefähr fünfundzwanzig Minuten. Es war weder zu kurz noch zu lang, und die Zeit reichte genau aus, um ihre Muskulatur einmal richtig durch die Mangel zu drehen. Als der Tonarm automatisch wieder an seine ursprüngliche Stelle zurückgekehrt und der Plattenteller zum Stehen gekommen war, fühlte Aomame sich geistig und körperlich wie ein bis auf den letzten Tropfen ausgewrungener Waschlappen.
    Inzwischen kannte sie die Sinfonietta in- und auswendig. Immer wenn sie ihre Muskulatur zu dieser Musik bis an ihre Grenzen dehnte, empfand sie einen seltsamen Frieden. Sie folterte und wurde gefoltert. Sie bezwang und wurde bezwungen. Diese nach innen gerichtete Selbstvervollkommnung war genau das, was Aomame brauchte, um sich zu beruhigen. Die Sinfonietta war zur perfekten Hintergrundmusik für ihre Übungen geworden.
    Gegen zehn Uhr abends klingelte das Telefon. Als Aomame den Hörer abhob, ertönte Tamarus Stimme.
    »Wie sieht es morgen bei dir aus?«, fragte er.
    »Um halb sieben habe ich Schluss.«
    »Kannst du danach herkommen?«
    »Ja.«
    »Gut«, sagte Tamaru. Es war zu hören, wie er etwas in den Terminkalender schrieb.
    »Hast du einen neuen Hund gekauft?«, fragte Aomame.
    »Ja, wieder eine Schäferhündin. Ich kenne sie noch nicht ganz genau, aber sie ist sehr gut abgerichtet und gehorcht aufs Wort. Die Frauen fühlen sich wieder sicherer, seit sie da ist.«
    »Da bin ich froh.«
    »Außerdem ist sie auch mit gewöhnlichem Hundefutter zufrieden. Sie macht gar keine Umstände.«
    »Normalerweise fressen Schäferhunde ja auch keinen Spinat.«
    »Bun war wirklich seltsam. Je nach Jahreszeit war das mit dem Spinat auch ganz schön teuer«, beklagte Tamaru sich wehmütig. Nach ein paar Sekunden wechselte er das Thema. »Der Mond ist heute sehr schön.«
    Aomame verzog leicht das Gesicht. »Wieso redest du plötzlich vom Mond?«
    »Selbst ich spreche eben bisweilen über den Mond.«
    »Natürlich«, sagte Aomame. Aber du bist nicht der Typ, der am Telefon grundlos von der Schönheit der Natur schwärmt, fügte sie in Gedanken hinzu.
    Tamaru zögerte kurz. »Du hast mich letztes Mal nach dem Mond gefragt«, sagte er dann. »Erinnerst du dich? Seither geht er mir nicht mehr aus dem Kopf. Und als ich dann neulich – in einer klaren wolkenlosen Nacht – zum Himmel sah, habe ich den Anblick sehr genossen.«
    Aomame war drauf

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