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1Q84: Buch 1&2

Titel: 1Q84: Buch 1&2 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Haruki Murakami
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und das neue Leben, die sie erhalten sollte. Das Bündel Bargeld in dem Schließfach am Bahnhof Shinjuku. Das waren die Dinge, die in diesen Tagen des Hochsommers Aomames Leben bestimmten. Wie immer um diese Zeit war ein großer Teil der Einwohner in die Sommerferien gefahren, viele Geschäfte blieben zu, und die Straßen waren leer. Es herrschte weniger Verkehr, und es ging überall in der Stadt geruhsamer zu. Mitunter verlor Aomame ganz aus dem Blick, wo sie war. Ist das hier wirklich die Realität?, fragte sie sich dann. Aber wo sonst hätte sie die Realität suchen sollen? Also blieb ihr nichts anderes übrig, als diesen Zustand vorläufig als real zu akzeptieren und so gut es eben ging damit zurechtzukommen.
    Ich habe keine Angst zu sterben, versicherte Aomame sich immer wieder. Angst hat man nur davor, von der Realität überrascht zu werden. Hinter ihr zurückzubleiben, sie nicht kontrollieren zu können.
    Alle Vorbereitungen waren getroffen. Alles war geregelt, auch ihre Gefühle hatte sie im Griff. Sobald Tamaru sich meldete, konnte sie die Wohnung verlassen. Aber er meldete sich nicht. Laut Kalender ging der August zu Ende. Bald würde auch der Sommer vergehen und damit das Zirpen der Zikaden schwächer werden. Warum war der Monat so schnell verstrichen, wo ihr doch jeder Tag so schrecklich lang erschien?
    Als Aomame aus dem Sportstudio zurückkam, entledigte sie sich ihrer verschwitzten Kleidung, warf sie in den Wäschekorb und lief in Tanktop und Shorts durch die Wohnung. Am Nachmittag hatte es einen starken Wolkenbruch gegeben. Der Himmel war schwarz, Hagelkörner so groß wie Kieselsteine prasselten auf den Asphalt, und es donnerte. Danach war die ganze Stadt durch die in der sengenden Sonne verdampfenden Pfützen in warmen Dunst gehüllt. Gegen Abend zogen erneut Wolken auf und bedeckten den Himmel mit einem dichten Schleier. Kein Mond war zu sehen.
    Aomame beschloss, sich noch etwas bei einem Becher kaltem Mugicha zu entspannen, ehe sie sich an die Zubereitung ihres Abendessens machte. Sie breitete die Abendzeitung auf dem Küchentisch aus und verzehrte als Vorspeise ein paar gekochte grüne Sojabohnen. Sie überflog die Artikel auf den ersten Seiten und blätterte weiter, ohne auf etwas zu stoßen, das sie interessierte. Typische Abendnachrichten. Doch als sie die Gesellschaftsseiten aufschlug, sprang ihr ein Foto ins Auge. Ayumi! Aomame schluckte und verzog das Gesicht.
    Das kann doch nicht sein, war ihr erster Gedanke. Es musste sich um eine Verwechslung handeln. Die Person auf dem Foto sah Ayumi sicher nur ähnlich. Warum sollte etwas über Ayumi in der Zeitung stehen, noch dazu mit Foto? Doch auch auf den zweiten und dritten Blick war und blieb es das vertraute Gesicht der jungen Polizistin. Gefährtin ihrer bescheidenen sexuellen Eskapaden. Ayumi lächelte auf dem Foto. Aber es war ein steifes, künstliches Lächeln. Die echte Ayumi lächelte viel natürlicher und offener. Wahrscheinlich hatte man das Foto aus irgendeinem offiziellen Anlass aufgenommen. Seine Starrheit hatte etwas Beunruhigendes.
    Aomame hätte es vorgezogen, den Artikel nicht zu lesen. Aber das konnte sie sich nicht erlauben. Es ging um die Realität. Und der Realität konnte sie nicht entkommen. Nach einem tiefen Seufzer begann sie zu lesen.
    Es ging tatsächlich um Ayumi Nakano, 26 Jahre alt, wohnhaft in Tokio im Stadtteil Shinjuku.
    Sie war in einem Hotelzimmer in Shibuya mit der Schnur eines Bademantels erdrosselt worden. Sie war nackt, und beide Hände waren mit Handschellen an das Kopfteil des Bettes gefesselt gewesen. Um sie am Schreien zu hindern, hatte man ihr ein Kleidungsstück in den Mund gestopft. Eine Angestellte des Hotels, die am Morgen ins Zimmer kam, hatte die Leiche entdeckt. Am Vorabend gegen elf Uhr hatten Ayumi und ein unbekannter Mann in das Hotelzimmer eingecheckt. Der Mann hatte das Hotel in den Morgenstunden allein wieder verlassen. Der Zimmerpreis war im Voraus bezahlt worden. Solche Dinge kamen in einer Großstadt nicht selten vor. Durch das Aufeinandertreffen verschiedenster Menschen entstand mitunter eine fiebrige Hitze, die sich in Form von Gewalt entlud. Die Zeitungen waren voll von solchen Ereignissen. Allerdings waren einige Aspekte in diesem speziellen Fall sehr außergewöhnlich. Das Opfer war Polizistin, und die Handschellen, die sie bei ihren Sexspielen verwendet hatte, waren offizielles Staatseigentum. Kein billiges Spielzeug, wie es in Pornoläden verkauft wurde. Allein deshalb erregte

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