1Q84: Buch 1&2
Unwetters hatten sie diesen Akt vollzogen. Seine Bedeutung würde unweigerlich verzerrt werden, sobald man das Geschehene ans profane Tageslicht zog. »Du hast also keine Periode?«, ging Tengo die Sache von einer anderen Seite an. Er wollte es zunächst mit einer Frage versuchen, auf die Fukaeri mit Ja oder Nein antworten konnte.
»Nein«, erwiderte Fukaeri präzise.
»Noch nie im Leben gehabt?«
»Kein Mal.«
»Es geht mich sicher nichts an, aber ich finde das bei einem siebzehnjährigen Mädchen doch recht ungewöhnlich.«
Kurzes Achselzucken.
»Warst du deshalb mal bei einem Arzt?«
Kopfschütteln. »Das nützt doch auch nichts.«
»Warum nicht?«
Darauf gab Fukaeri keine Antwort, als habe sie Tengos Frage nicht gehört. Anscheinend befand sich in ihrem Gehörgang ein besonderes Ventil, das entschied, welche Fragen passend oder unpassend waren, und sich dementsprechend öffnete oder schloss, wie die Kiemen einer Meerjungfrau.
»Haben die Little People etwas damit zu tun?«, fragte Tengo.
Natürlich keine Antwort.
Tengo seufzte. Ihm fiel keine Frage mehr ein, die ihn einer Klärung der Vorgänge in der vergangenen Nacht nähergebracht hätte. Der schmale, ungewisse Pfad brach hier ab, und dahinter lag nichts als tiefer Wald. Tengo prüfte den Boden zu seinen Füßen, schaute sich um, blickte zum Himmel. Das war das Problem, wenn man mit Fukaeri sprach. Alle Wege brachen unweigerlich an irgendeiner Stelle ab. Ein Giljake konnte wahrscheinlich weitergehen, auch wenn der Weg zu Ende war. Aber für Tengo war es sinnlos.
»Ich bin auf der Suche nach jemandem«, setzte er von neuem an. »Nach einer Frau.«
Es war ihm klar, dass Fukaeri auch mit dieser Eröffnung nichts anzufangen wusste. Aber er wollte jemandem davon erzählen. Egal wem. Er wollte seine Gedanken in Worte fassen und über Aomame reden. Weil sie sich, wenn er es nicht tat, vielleicht noch etwas weiter von ihm entfernte.
»Ich habe sie schon zwanzig Jahre nicht gesehen. Beim letzten Mal war ich zehn Jahre alt. Wir sind gleich alt und waren in der Grundschule in einer Klasse. Ich habe alles Mögliche versucht, aber ich finde keine Spur von ihr.«
Die Schallplatte war zu Ende. Fukaeri nahm sie vom Plattenteller und sog mit halbgeschlossenen Augen mehrmals ihren Vinylgeruch ein. Behutsam, ohne die Oberfläche mit den Fingern zu berühren, schob sie sie in das Papier und anschließend in die Hülle. Sehr behutsam und liebevoll, als würde sie ein junges Kätzchen, das am Einschlafen war, in ein Körbchen betten.
»Sie möchten sie wiedersehen«, fragte Fukaeri.
»Ja, sie bedeutet mir sehr viel.«
»Sie haben sie zwanzig Jahre lang gesucht«, fragte Fukaeri.
»Nein.« Tengo verschränkte die Hände auf dem Tisch und suchte nach Worten. »Ehrlich gesagt, ich habe erst heute damit angefangen.«
Verständnislosigkeit spiegelte sich auf Fukaeris Gesicht.
»Heute«, sagte sie.
»Warum ich bis heute nicht nach ihr gesucht habe, wo sie doch so wichtig für mich ist?«, formulierte Tengo an ihrer Stelle. »Gute Frage.«
Schweigend blickte Fukaeri ihn an.
Tengo überlegte eine Weile. »Wahrscheinlich habe ich einen großen Umweg gemacht«, sagte er dann. »Aomame, so heißt sie, stand – wie soll ich sagen – lange im Mittelpunkt meines Denkens, ohne sich zu verändern. Sie spielte die Rolle eines lebenswichtigen Schwerpunkts für mich. Dennoch war ich nicht imstande, ihre Bedeutung zu erfassen; vielleicht gerade weil sie so zentral war.«
Fukaeri sah ihn die ganze Zeit an. Es war nicht zu erkennen, ob sie irgendetwas von dem verstand, was er sagte. Aber das war ihm gleich. Er sprach ohnehin mehr zu sich selbst.
»Doch endlich habe ich es begriffen. Aomame ist kein allgemeines Prinzip, kein Symbol, kein Gleichnis. Sie ist ein reales Wesen mit einem warmen Körper und einem beweglichen Geist. Und diese Wärme und Beweglichkeit darf ich nicht aus den Augen verlieren. Um so etwas Selbstverständliches zu begreifen, habe ich zwanzig Jahre gebraucht. Dabei bin ich ein Mensch, der sich Zeit zum Nachdenken nimmt, doch in diesem Punkt habe ich auf der Leitung gestanden. Vielleicht ist es auch schon zu spät. Aber selbst wenn, finden will ich sie unter allen Umständen.«
Fukaeri, die auf dem Boden kniete, richtete sich auf und streckte sich. Wieder zeichneten sich ihre Brustwarzen deutlich unter dem Jeff-Beck-T-Shirt ab.
»Aomame«, sagte sie.
»Ja, man schreibt es wie ›Erbse‹. Ein ungewöhnlicher Name.«
»Sie möchten sie wiedersehen«,
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