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1Q84: Buch 1&2

Titel: 1Q84: Buch 1&2 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Haruki Murakami
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eine Person gehalten, die jenseits der Normen von Gut und Böse stand. Auch sein Ende war außergewöhnlich gewesen. Sie hatte eine seltsame Reaktion gespürt. Eine außergewöhnliche Reaktion.
    Er hatte ihr eine »Verheißung« hinterlassen. Zu diesem Schluss kam Aomame, nachdem sie eine Weile nachgedacht hatte. Zum Zeichen dafür war diese Schwere in ihren Händen zurückgeblieben. Das wusste sie jetzt. Vielleicht würde dieses Zeichen nie mehr verschwinden.
    Gegen neun Uhr am Vormittag läutete das Telefon. Es war Tamaru. Er ließ es dreimal klingeln, legte auf und rief nach zwanzig Sekunden wieder an.
    »Die haben tatsächlich nicht die Polizei gerufen«, sagte er. »In den Nachrichten kam auch nichts. Auch nicht in den Zeitungen.«
    »Aber ich bin ganz sicher, dass er tot ist.«
    »Das weiß ich doch. Der Leader ist mausetot. Es hat sich einiges bewegt. Das Hotelzimmer haben sie schon geräumt. In der Nacht wurden ein paar Leute aus ihrer Zweigstelle in der Stadt zusammengerufen. Wahrscheinlich, um die Leiche unauffällig fortzuschaffen. Auf diesem Gebiet sind sie Experten. Gegen ein Uhr morgens haben ein Mercedes der S-Klasse mit getönten Scheiben und ein Hiace mit schwarz lackierten Seitenfenstern das Parkhaus des Okura verlassen. Beide hatten Yamanashi-Nummernschilder. Vermutlich sind sie noch vor dem Morgengrauen im Hauptquartier der Vorreiter eingetroffen. Am Tag davor hatte die Polizei ja diese Untersuchung durchgeführt, aber nichts Gravierendes entdeckt. Inzwischen ist sie längst abgezogen. Auf dem Sektengelände gibt es eine reguläre Verbrennungsanlage. Wenn sie die Leiche da reinwerfen, bleibt kein Knöchelchen übrig. Alles geht sauber in Rauch auf.«
    »Unheimlich, was?«
    »Ja, die Bande ist mir auch nicht geheuer. Die Organisation wird vorläufig weiterlaufen wie bisher, obwohl ihr Leader tot ist. Wie eine Schlange, die sich weiter windet, auch wenn man ihr den Kopf abschlägt. Sie weiß auch ohne Kopf genau, wohin sie will. Man kann nie sagen, was kommt. Vielleicht stirbt sie nach einer Weile. Oder es wächst ihr ein neuer Kopf.«
    »Er war kein gewöhnlicher Mann.«
    Tamaru äußerte sich nicht dazu.
    »Ganz anders als alle davor«, sagte Aomame.
    Tamaru wog den Klang ihrer Worte ab. »Das vermute ich auch«, sagte er dann. »Aber wir müssen jetzt praktisch denken. An das, was kommt . Sonst wirst du nicht überleben.«
    Aomame wollte etwas sagen, aber sie brachte kein Wort heraus. Das Zittern hatte noch nicht aufgehört.
    »Madame möchte mit dir sprechen«, sagte Tamaru. »Geht das?«
    »Natürlich«, sagte Aomame.
    Die alte Dame kam an den Apparat. »Ich danke Ihnen.« Auch ihrer Stimme war die Erleichterung anzuhören. »So sehr, dass ich es nicht mit Worten ausdrücken kann. Sie haben auch diesmal wieder perfekte Arbeit geleistet.«
    »Vielen Dank. Aber das könnte ich kein zweites Mal tun«, sagte Aomame.
    »Ich weiß. Darüber brauchen wir gar nicht zu reden. Ich bin so froh, dass Sie wohlbehalten zurück sind. Ich habe nicht die Absicht, Sie noch einmal um so etwas zu bitten. Damit ist jetzt Schluss. Ein Ort, an dem Sie zur Ruhe kommen können, ist bereit. Sie brauchen sich um nichts Sorgen zu machen. Sie bleiben jetzt eine Weile in dieser Wohnung, während wir alle Vorbereitungen für Ihr neues Leben treffen.«
    Aomame bedankte sich.
    »Benötigen Sie noch etwas? Dann sagen Sie es mir bitte. Tamaru wird sich sofort darum kümmern.«
    »Nein, soweit ich sehe, ist alles da, was ich brauche.«
    Die alte Dame räusperte sich. »Eines dürfen Sie nie vergessen: Wir haben absolut richtig gehandelt. Wir haben den Mann für seine Verbrechen bestraft und damit verhindert, dass so etwas immer wieder passiert. Wir haben verhindert, dass es noch mehr Opfer gibt. Es gibt nichts, das Sie belasten müsste.«
    »Er hat das auch gesagt.«
    »Er?«
    »Der Leader der Vorreiter. Der Mann, den ich gestern Abend beseitigt habe.«
    Die alte Dame schwieg etwa fünf Sekunden lang. »Er wusste es?«, fragte sie dann.
    »Ja. Er wusste, dass ich gekommen war, um ihn zu töten. Er hat es sogar zugelassen, denn er wollte sterben. Er musste körperlich sehr stark leiden und ging einem langsamen, aber unaufhaltsamen Tod entgegen. Ich habe ihn nur beschleunigt und den Mann damit von seinen grausamen Schmerzen erlöst.«
    Die alte Dame schien völlig entgeistert, sodass ihr für einen Moment die Worte fehlten. Etwas, das bei ihr nur sehr selten vorkam.
    »Dieser Mann …«, sagte sie und rang nach Worten. »… hat

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