1Q84: Buch 1&2
fühlte sich in der Gesellschaft aufgekratzter junger Mädchen, die gerade ihr Studium begonnen hatten, nicht entspannt. Anfangs fand er sie frisch und lustig, wie junge verspielte Kätzchen, aber mit der Zeit wurde ihm unbehaglich. Und auch die Mädchen merkten, dass ihr junger Lehrer, der so begeistert über Mathematik gesprochen hatte, außerhalb des Unterrichts ein anderer war. Tengo konnte ihre Enttäuschung durchaus verstehen.
Er fühlte sich wohler in Gesellschaft etwas älterer Frauen. Sobald er merkte, dass er in keiner Hinsicht irgendeine Führung zu übernehmen brauchte, fiel eine Last von ihm ab. Umgekehrt fühlten sich ältere Frauen auch zu ihm hingezogen. Seit er vor einem Jahr die Beziehung zu der zehn Jahre älteren verheirateten Frau eingegangen war, verabredete er sich überhaupt nicht mehr mit jungen Mädchen. Seine Freundin besuchte ihn einmal wöchentlich in seiner Wohnung, womit sein sexuelles Verlangen (oder Bedürfnis) weitgehend gestillt war. Auch sonst blieb er meist zu Hause, schrieb, las oder hörte Musik. Hin und wieder ging er in ein Schwimmbad in seiner Nähe. Abgesehen von den paar Worten, die er mit seinen Kollegen an der Yobiko wechselte, sprach er mit kaum jemandem. Dabei war er nicht einmal unzufrieden mit seinem Leben. Im Gegenteil, diese Lebensweise kam seinem Ideal sehr nahe.
Als er nun jedoch der siebzehnjährigen Fukaeri gegenübersaß, verspürte Tengo ein heftiges Beben in seinem Herzen. Es war ein ähnliches Gefühl wie jenes, das er beim Anblick ihres Fotos empfunden hatte, nur ungleich stärker. Es hatte nichts mit Verliebtheit oder sexueller Anziehungskraft zu tun. Es fühlte sich an, als komme etwas aus einem winzigen Spalt und versuche, die Leere, die in ihm war, auszufüllen. Es war keine Lücke, die durch Fukaeri entstanden war, sondern eine, die Tengo schon immer empfunden hatte. Fukaeri trug nur ein Licht hinein und beleuchtete sie aufs Neue.
»Du hast also kein Interesse am Schreiben und hast auch das Manuskript nicht selbst eingereicht«, sagte Tengo, um ganz sicherzugehen.
Ohne den Blick von seinem Gesicht abzuwenden, nickte Fukaeri. Dann zog sie kurz die Schultern hoch, wie um sich vor einem kalten winterlichen Wind zu schützen.
»Du willst nicht Schriftstellerin werden.« Zu seiner Überraschung stellte Tengo fest, dass er seine Frage ebenfalls nicht intonierte. Offenbar war ihre Sprechweise ansteckend.
»Nein«, sagte Fukaeri.
Ihre Bestellung wurde gebracht. Für Fukaeri eine große Schale mit Salat und ein paar Brötchen und die Linguini mit Meeresfrüchten für Tengo. Fukaeri wendete die Salatblätter immer wieder mit der Gabel und betrachtete sie, als würde sie Überschriften in einer Zeitung durchgehen.
»Jedenfalls hat jemand das Manuskript von ›Die Puppe aus Luft‹ für den Preis als bestes Erstlingswerk beim Verlag eingereicht. Ich habe es begutachtet und bin so auf deine Arbeit aufmerksam geworden.«
»›Die Puppe aus Luft‹«, sagte Fukaeri. Ihre Augen wurden schmal.
»›Die Puppe aus Luft‹ ist der Titel des Romans, den du geschrieben hast«, sagte Tengo.
Fukaeri saß wortlos und mit zusammengekniffenen Augen da.
»Ist das nicht der Titel, den du ihm gegeben hast?«
Fukaeri schüttelte leicht den Kopf.
Tengo war wieder etwas verwirrt, beschloss aber, die Frage des Titels vorläufig nicht weiter zu verfolgen. Im Augenblick musste er mit etwas anderem vorankommen.
»Das spielt keine große Rolle. Der Titel ist auf jeden Fall nicht schlecht. Er hat Atmosphäre und erregt Aufmerksamkeit. Man fragt sich, was das wohl ist . Egal, wer ihn ausgewählt hat, wir sind nicht unzufrieden damit. Ich kenne nicht mal genau den Unterschied zwischen einer ›Puppe‹ und einem ›Kokon‹, aber das ist kein großes Problem. Was ich sagen will, ist, dass ich es gelesen habe und es mich stark beeindruckt hat. Also habe ich es Herrn Komatsu gezeigt. Ihm gefällt ›Die Puppe aus Luft‹ auch. Er ist allerdings der Ansicht, dass man den Text für den Debütpreis bearbeiten müsste. Denn im Verhältnis zur Aussagekraft der Geschichte ist der Stil etwas schwach. Deshalb möchte er, dass nicht du, sondern ich ihn verbessere. Ich habe diesbezüglich noch keine Entscheidung getroffen. Ihm weder eine Zu- noch eine Absage erteilt. Weil ich nicht genau weiß, ob es richtig wäre.«
An dieser Stelle unterbrach sich Tengo, um Fukaeris Reaktion zu beobachten. Es gab keine.
»Was würdest du davon halten, wenn ich ›Die Puppe aus Luft‹ für dich
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