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1Q84: Buch 1&2

Titel: 1Q84: Buch 1&2 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Haruki Murakami
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nicht zwischen Phantasie und Wirklichkeit unterscheiden, sagten sie. Als seien Form und Farbe seines Denkens ganz anders als bei anderen Leuten. Das Mädchen verstand nicht richtig, was mit ihm nicht stimmte. Aber sicher war es besser, niemandem von den Little People zu erzählen.
    Als die Little People verschwunden waren und das Maul der Ziege sich wieder geschlossen hatte, suchte das Mädchen an der Stelle, wo sie die Puppe aus Luft versteckt hatten, aber es fand sie einfach nicht. Sie waren gut im Verstecken. Obwohl der Raum so klein war, konnte es suchen, wie es wollte, und entdeckte die Puppe dennoch nicht. Wo hatten sie sie nur versteckt?
    Anschließend wickelte es sich in seine Decken und schlief ein. Endlich konnte es ruhig schlafen. Traumlos und ohne Unterbrechung. Es genoss diesen tiefen Schlaf.
    Den ganzen Tag über blieb die Ziege reglos. Ihr Körper war starr und steif, und ihre gebrochenen Augen wirkten wie gläserne Murmeln. Doch als die Sonne unterging und die Dunkelheit in die Hütte einzog, reflektierten die Augen wieder das Licht der Sterne. Und wie von ihrem Licht geleitet, klaffte das Maul der Ziege weit auf, und die Little People kletterten heraus. Dieses Mal waren es von Anfang an sieben.
    »Heute Nacht geht es weiter«, krächzte der Heisere.
    Die übrigen sechs murmelten zustimmend.
    Die sieben Little People und das Mädchen setzten sich im Kreis um die Puppe herum und arbeiteten weiter. Sie zogen die weißen Fäden aus der Luft und vergrößerten sie. Schweigend, fast ohne ein Wort, widmeten sie sich ihrer Arbeit. Durch die emsigen Bewegungen seiner Finger machte dem Mädchen auch die Kälte der Nacht nichts mehr aus. Unmerklich verging die Zeit. Ihr wurde nie langweilig, und Müdigkeit verspürte sie auch nicht. Die Puppe wurde langsam, aber deutlich sichtbar größer.
    »Wie groß machen wir sie denn«, fragte das Mädchen, als der Morgen sich näherte. Es hätte gern gewusst, ob sie die Arbeit während der zehn Tage, die es in dem Speicher eingesperrt war, vollenden würden.
    »So groß wir können«, antwortete der mit der hohen Stimme.
    »An einem gewissen Punkt bricht sie ganz von selbst auf«, sagte der Tenor.
    »Und dann kommt etwas raus«, sagte der Bariton mit sonorer Stimme.
    »Was denn«, fragte das Mädchen.
    »Irgendetwas«, flüsterte der Leise.
    »Etwas sehr Erfreuliches«, brummte der mit der tiefen Stimme.
    »Hoho«, kam es von einem Zwischenrufer.
    »Hoho«, sagten die übrigen sechs im Chor.
    Im Stil des Romans schwang ein besonderer Ton mit. Als Aomame ihn bemerkte, verzog sie leicht das Gesicht. Die Geschichte hatte eine gewisse Ähnlichkeit mit einem Märchen. Unterschwellig war sie von einem unsichtbaren, aber breiten dunklen Strom durchzogen. Aomame konnte sein unheilvolles Rauschen durch die schnörkellose knappe Ausdrucksweise hindurch vernehmen. Es war etwas Düsteres darin, das auf das Herannahen einer Krankheit hindeutete, einer tödlichen Krankheit, die den Geist des Menschen lautlos von ganz innen her verzehrte. Und es war dieser Chor der sieben Little People, der die Krankheit brachte. Zweifellos verbirgt sich darin etwas Ungesundes, dachte sie. Dennoch hörte Aomame auf irgendeine Weise etwas aus den Stimmen der Little People heraus, das ihr fast schicksalhaft vertraut, ja verwandt erschien.
    Aomame schaute von ihrem Buch auf und erinnerte sich an das, was der Leader ihr vor seinem Tod über die Little People erzählt hatte.
    »Schon seit Ewigkeiten leben wir mit ihnen zusammen. Seit der Dämmerung des menschlichen Bewusstseins, lange bevor es Gut und Böse gab.«
    Aomame fuhr fort.
    Die Little People und das Mädchen arbeiteten weiter. Nach mehreren Tagen hatte die Puppe aus Luft in etwa die Größe eines Hundes erreicht.
    »Morgen ist meine Strafe zu Ende, und ich darf hier raus«, sagte das Mädchen zu den Little People, als der Morgen des neunten Tages dämmerte.
    Die sieben Little People hörten schweigend zu.
    »Dann werden wir nicht mehr zusammen an der Puppe aus Luft arbeiten können.«
    »Das ist sehr schade«, sagte der Tenor. In seiner Stimme schwang echtes Bedauern mit.
    »Du hast uns wirklich sehr geholfen«, sagte der Bariton.
    »Aber die Puppe ist zum größten Teil fertig. Nur noch ein bisschen«, sagte der mit der hohen Stimme.
    Die Little People stellten sich in einer Reihe auf und nahmen den Zustand der Puppe abschätzend in Augenschein.
    »Nur noch ein bisschen«, wiederholte der Heisere, als würde er auf Seemannsart einen Shanty

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