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1Q84: Buch 1&2

Titel: 1Q84: Buch 1&2 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Haruki Murakami
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gehörten der zweiten Gruppe an. Ihr Vater war ihr ältestes Mitglied und spielte seit Gründung der Gemeinschaft eine zentrale Rolle in ihr.
    Natürlich vermochte ein zehnjähriges Mädchen das Wesen der beiden gegnerischen Gruppen nicht logisch zu erklären. Auch den Unterschied zwischen Revolution und Frieden verstand es nicht genau. Es hatte nur den Eindruck, dass Revolution ein etwas schärferes, kantigeres Denken beinhaltete, während Frieden eine etwas rundere Form hatte. Alle Ideen hatten für das Mädchen jeweils eine bestimmte Form und Farbe. Und wurden mal größer und mal kleiner, wie der Mond. Das war ungefähr das Ausmaß seines Wissens.
    Das Mädchen wusste auch nicht genau, unter welchen Umständen die Gemeinschaft entstanden war. Vor etwa zehn Jahren, also kurz vor seiner Geburt, so erzählte man ihm, sei es zu großen gesellschaftlichen Bewegungen gekommen, im Zuge derer man das Leben in der Stadt aufgegeben habe und in das einsame Bergdorf gezogen sei. Auch über die Stadt wusste das Mädchen nicht viel. Es war noch nie mit der U-Bahn oder in einem Aufzug gefahren und hatte noch nie ein Gebäude gesehen, das höher als zwei Stockwerke war. Es gab viele Dinge, die es nicht kannte. Es begriff nur das, was um es herum war, was es mit eigenen Augen sehen und mit eigenen Händen berühren konnte.
    Dennoch schilderte das Mädchen aus seiner schlichten Perspektive und in seiner schmucklosen Sprache das Leben in der kleinen Gemeinschaft und den Charakter der in ihr lebenden Menschen auf eine bestechend ungekünstelte und lebendige Weise.
    Ungeachtet der unterschiedlichen Meinungen herrschte innerhalb der Gemeinschaft ein starker Zusammenhalt. Ihre Mitglieder teilten die Vorstellung, dass es gut war, außerhalb der kapitalistischen Gesellschaft zu leben, und auch wenn die Formen und Schattierungen ihres Denkens sich mehr oder weniger voneinander unterschieden, wussten sie doch genau, dass sie nur überleben würden, wenn sie an einem Strang zogen. Sie schafften es gerade so. Dafür schufteten sie Tag für Tag ohne Pause. Bauten Gemüse an, machten Tauschgeschäfte mit den Nachbarn in der näheren Umgebung, verkauften ihre Überschüsse, vermieden es so weit wie möglich, Dinge zu verwenden, die in Massenproduktion hergestellt worden waren, und führten ein naturnahes Leben. Notwendige Elektrogeräte wurden von Müllplätzen geholt und repariert. Ihre Garderobe stammte nahezu ausschließlich aus Altkleidersammlungen.
    Dieser extreme Purismus veranlasste einige, die Gemeinschaft zu verlassen. Sie konnten sich einfach nicht an diese Strenge im täglichen Leben gewöhnen. Dafür kamen immer wieder andere hinzu, die gerade davon angezogen wurden. Die Zahl der Neuankömmlinge überwog die der Ausgetretenen. Das allmähliche Anwachsen der Gemeinschaft durch Neuzugänge war eine gern gesehene Entwicklung. In dem verlassenen Dorf, in dem die Gruppe sich niedergelassen hatte, gab es genügend Häuser, die bewohnbar waren, wenn man sie etwas herrichtete. Auch an Feldern, die man bebauen konnte, herrschte kein Mangel. So wurde der Zuwachs an Arbeitskräften sehr begrüßt.
    In der Gemeinschaft lebten etwa acht bis zehn Kinder, von denen die meisten auch dort geboren waren. Die Heldin war das älteste von ihnen. Anfangs besuchten alle Kinder die örtliche Grundschule und wanderten stets gemeinsam dorthin und wieder zurück. Abgesehen davon, dass man die gesetzliche Schulpflicht einhielt, war den Gründern der Gemeinschaft bewusst, dass ihre Gemeinschaft nur schwer ohne freundschaftliche Beziehungen zu den Nachbarn in der Umgebung bestehen konnte. Dennoch waren die Kinder aus der Gemeinschaft bei den einheimischen Kindern als »Zombies« verschrien und wurden geschnitten. Sie wiederum schotteten sich ab, weil sie gehänselt wurden. So schützten sie sich zugleich vor physischen Gefahren und vor spiritueller Unreinheit.
    Also gründete die Gemeinschaft eine eigene Schule, in der die Mitglieder den Kindern abwechselnd Unterricht erteilten. In dieser Hinsicht gab es keine Schwierigkeiten, da die meisten Anhänger über eine höhere Schulbildung und nicht wenige sogar über eine Lehrbefähigung verfügten. Sie waren in der Lage, eigene Lehrbücher zu verfassen und den Kindern Lesen, Schreiben und Rechnen sowie die Grundbegriffe der Chemie, Physik, Physiologie und Biologie beizubringen. Daneben erklärten sie ihnen auch, wie die Welt beschaffen sei. Dass es zwei Systeme gebe, den Kapitalismus und den Kommunismus, die einander

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