1Q84: Buch 1&2
Aufnahmegebühren und Beiträgen, das zahlreiche prominente Mitglieder hatte. Aomame gab mehrere Selbstverteidigungskurse für Frauen, dies war ihr Spezialgebiet. Sie fertigte eine große Puppe aus Leinen an, der sie als Hoden einen schwarzen Arbeitshandschuh in den Schritt nähte, und ließ die weiblichen Mitglieder ausführlich daran üben. Um eine realistischere Wirkung zu erzielen, stopfte sie den Handschuh manchmal auch mit zwei Squashbällen aus, gegen die immer wieder rasch und erbarmungslos getreten wurde. Den meisten der Damen bereitete diese Übung außergewöhnliches Vergnügen, und sie machten deutliche Fortschritte in dieser Technik. Allerdings gab es auch Mitglieder (naturgemäß waren sie meist männlich), bei denen dieser Anblick Stirnrunzeln hervorrief und die sich bei der Clubleitung beschwerten: Das gehe ja wohl doch ein wenig zu weit. Schließlich wurde Aomame vor den Geschäftsführer zitiert und erhielt die Anweisung, die Hodentretübungen zu unterlassen.
»Aber es ist praktisch unmöglich, dass eine Frau den Angriff eines Mannes abwehrt, ohne ihm in die Hoden zu treten«, versuchte Aomame ihn zu überzeugen. »In der Regel ist der Mann größer und stärker. Ein rascher Tritt in die Hoden ist für die Frau die einzige Chance. Das sagt auch Mao Zedong: Man muss die Schwachstelle des Gegners entdecken und ihn, indem man ihm zuvorkommt, genau dort angreifen. Nur so hat die Guerilla eine Chance gegen reguläre Truppen.«
»Wie Sie wissen, sind wir eins der führenden und teuersten Sportstudios der Stadt«, erklärte ihr der Geschäftsführer mit besorgter Miene. »Die meisten unserer Mitglieder sind namhafte Persönlichkeiten. Wir haben einen Ruf zu wahren. Unser Image ist wichtig. Dass junge Frauen sich hier versammeln, um – aus welchem Grund auch immer – mit Geschrei einer Puppe in den Schritt zu treten, ist würdelos. Es ist vorgekommen, dass angehende Mitglieder, die sich den Club anschauen wollten und zufällig Zeugen Ihres Kurses wurden, deshalb auf ihren Beitritt verzichtet haben. Egal, was Mao Zedong sagt oder von mir aus Dschingis Khan, ein solcher Anblick verunsichert, verärgert oder verstört die meisten Männer.«
Die Verunsicherung, Verärgerung oder Verstörung männlicher Mitglieder kümmerte Aomame nicht einen Deut. Was bedeutete deren läppisches Unbehagen schon im Vergleich zu den Qualen einer brutalen Vergewaltigung? Doch gegenüber den Anweisungen ihres Vorgesetzten war sie machtlos. Sie war gezwungen, das Niveau ihrer Selbstverteidigungskurse drastisch zu senken. Außerdem wurde ihr untersagt, die Puppe zu verwenden, weshalb das Training zu einer lauwarmen Formsache verkam. Für Aomame war es so natürlich uninteressant, und auch unter den Teilnehmerinnen erhoben sich unzufriedene Stimmen, aber als Angestellter waren ihr bedauerlicherweise die Hände gebunden. Eine andere Möglichkeit, als einem gewalttätigen Verfolger wirkungsvoll in die Hoden zu treten, so erklärte Aomame ihren Teilnehmerinnen, gebe es kaum. Elegante Techniken, wie zum Beispiel einem Angreifer den Arm auf den Rücken zu drehen, sähen zwar verwegen aus, funktionierten aber in einer echten Konfrontation meist nicht. Die Realität und das, was man in Spielfilmen zu sehen bekomme, klafften weit auseinander. Da sei es immer noch besser, nichts zu tun und wegzulaufen.
Jedenfalls beherrschte Aomame etwa zehn Arten, einem Mann in die Hoden zu treten, die sie auch am lebenden Objekt ausprobiert hatte. An jungen Männern, die natürlich einen Schutz trugen. Aber auch diese beklagten sich – trotz »Eierbecher« – über zu große Schmerzen und baten um Schonung. Sie zögerte nicht im Geringsten, ihre raffinierte Technik, wenn es nötig war, auch praktisch zum Einsatz zu bringen. Sie war entschlossen, jedem Kerl, der es wagte, ihr zu nahe zu kommen, das Jüngste Gericht und das Reich Gottes zu zeigen. Sie würde ihn direkt auf die südliche Halbkugel schicken, wo er sich gemeinsam mit den Kängurus und Wallabys vom tödlichen Fallout berieseln lassen konnte.
Aomame saß an einer Bar und nippte an einem Tom Collins, während sie über das Kommen des Jüngsten Gerichts nachdachte. Sie tat, als würde sie auf jemanden warten, und sah hin und wieder auf die Uhr, aber sie war in Wirklichkeit nicht verabredet, sondern hielt unter den eintreffenden Gästen Ausschau nach einem passenden Liebhaber. Es ging auf halb neun zu. Sie trug einen dunkelblauen Minirock und eine hellblaue Bluse, darüber eine rotbraune
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