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1Q84: Buch 1&2

Titel: 1Q84: Buch 1&2 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Haruki Murakami
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Jacke von Calvin Klein. Auch heute hatte sie ihren speziellen Eispick nicht dabei. Er ruhte, in ein Handtuch gewickelt, friedlich in einer Schublade ihrer Kommode.
    Das als Singletreff bekannte Etablissement lag in Roppongi. Auch viele Ausländer kamen dorthin. Ihnen sagte wohl vor allem das Interieur zu, das im Stil einer von Hemingway frequentierten Bar auf den Bahamas gehalten war. Marline zierten die Wände, und Fischernetze hingen von der Decke. Daneben gab es zahlreiche Fotos von Leuten, die riesige Fische geangelt hatten. Und ein Porträt von Hemingway. Ein gut gelaunter Papa Hemingway. Dass der Schriftsteller in seinen späteren Jahren an Alkoholismus gelitten und sich mit einem Jagdgewehr erschossen hatte, kümmerte die Leute, die hierherkamen, wahrscheinlich wenig.
    An diesem Abend hatten bereits mehrere Männer Aomame angesprochen, aber keiner hatte ihr gefallen. Von zwei Studenten, die sich für unwiderstehlich hielten, war sie auf so penetrante Art angemacht worden, dass sie nicht einmal Lust hatte zu antworten, und einen wenig attraktiven Büroangestellten um die dreißig hatte sie mit den Worten »Ich warte auf jemanden« abblitzen lassen. Für jüngere Männer hatte Aomame nichts übrig. Sie neigten zur Prahlerei, und das Einzige, von dem sie übermäßig viel besaßen, war Selbstbewusstsein. Ihre Gesprächsthemen waren beschränkt und die Konversation entsprechend langweilig. Im Bett verhielten sie sich gierig, und von echtem erotischem Genuss hatten sie keine Ahnung. Mehr nach ihrem Geschmack waren schon etwas angejahrte Männer mittleren Alters, möglichst mit schütterem Haaransatz. Trotzdem sollten sie keine Macken haben und sauber sein. Außerdem musste die Kopfform eben stimmen. Aber so ein Mann war gar nicht so leicht zu finden. Deshalb musste sie unbedingt Raum für Kompromisse zulassen.
    Lautlos seufzend schaute Aomame sich im Lokal um. Warum gab es auf dieser Welt so wenig »geeignete Männer«? Wie zum Beispiel Sean Connery. Allein beim Gedanken an die Form seines Kopfes bekam sie Herzklopfen. Wenn er plötzlich auftauchen würde, dachte sie, würde ich wahrscheinlich in Deckung gehen, falls ich überhaupt etwas täte. Doch selbstverständlich würde Sean Connery sich nie in einer auf Bahamas getrimmten Bar in Roppongi blicken lassen.
    Auf einem großen Fernsehschirm an der Wand des Lokals lief ein Queen-Video. Aomame machte sich nicht viel aus der Musik von Queen. Daher bemühte sie sich, möglichst nicht hinzuschauen und nicht auf die Musik zu hören, die aus den Lautsprechern kam. Als das Queen-Stück zu Ende war, kam ABBA. Du meine Güte, dachte sie. Ihr schwante, dass es ein grässlicher Abend werden würde.
    Aomame hatte die alte Dame aus der Weidenvilla in dem Sportstudio, in dem sie arbeitete, kennengelernt. Sie hatte einen von Aomames Selbstverteidigungskursen besucht. Sie war zwar die Kleinste und Älteste gewesen, aber ihre Bewegungen waren leicht und ihre Tritte schnell und präzise. Sie würde, wenn es nötig wäre, einem Mann ohne Zögern in die Hoden treten, dachte Aomame. Ohne überflüssiges Gerede und ohne Umschweife. Gerade das gefiel Aomame an ihr.
    »In meinem Alter wird es wohl kaum noch notwendig sein, einen Angreifer abzuwehren«, sagte sie zu Aomame, als der Kurs zu Ende war. Sie lächelte fein.
    »Das ist keine Frage des Alters«, sagte Aomame nachdrücklich, »sondern der Lebenseinstellung. Der ernsthafte Wille, sich zu schützen, ist dabei das Wichtigste. Wer einen Angriff duldet, gelangt nirgendwohin. Ein chronisches Gefühl von Machtlosigkeit kann einen Mensch zerstören oder ihm sehr schaden.«
    Die alte Dame blickte Aomame einen Moment lang schweigend in die Augen. Die Worte oder der Tonfall hatten aus irgendeinem Grund starken Eindruck auf sie gemacht. Dann nickte sie ruhig. »Sie haben wirklich recht mit dem, was Sie da sagen. Ich finde Ihre Art zu denken sehr vernünftig.«
    Einige Tage später erhielt Aomame einen Umschlag. Er war an der Rezeption des Sportstudios hinterlegt worden und enthielt eine kurze Notiz: »Ich wäre Ihnen sehr verbunden, wenn Sie die Zeit fänden, mich einmal anzurufen.« Außerdem standen dort in schöner Pinselschrift der Name und die Telefonnummer der alten Dame.
    Als Aomame die Nummer anrief, meldete sich die Stimme eines Mannes; es war offenbar der Sekretär, der sie wortlos weiterverband, sobald sie ihren Namen genannt hatte. Die alte Dame hob ab und bedankte sich für den Anruf. »Wenn es Ihnen recht ist, könnten wir

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