Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

1Q84: Buch 1&2

Titel: 1Q84: Buch 1&2 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Haruki Murakami
Vom Netzwerk:
also, was bin ich von Beruf? Das ist eine etwas schwierige Frage. Ehrlich gesagt, Sie werden es mir wahrscheinlich nicht glauben.«
    »Sagen Sie es mir erst mal«, sagte Aomame. »Ich arbeite als Trainerin in einem Sportstudio. Hauptsächlich Kampfsport. Und Stretching.«
    »Kampfsport«, sagte die Frau bewundernd. »So ungefähr wie Bruce Lee?«
    »So ungefähr.«
    »Sind Sie gut?«
    »Es reicht.«
    Die Frau lächelte und hob ihr Glas. »Wenn es hart auf hart kommt, sind wir auf jeden Fall ein unschlagbares Team. Ich habe ziemlich lange Aikido gemacht. Um die Wahrheit zu sagen, ich bin bei der Polizei.«
    »Bei der Polizei«, wiederholte Aomame. Ihr blieb der Mund leicht offen stehen, und sie war sprachlos.
    »Ja, ich bin Polizistin. Sieht man mir gar nicht an, oder?«, sagte die Frau.
    »Wirklich nicht«, sagte Aomame.
    »Aber es stimmt. Ehrlich. Ich heiße Ayumi.«
    »Ich bin Aomame.«
    »Aomame – Erbse. Ist das Ihr richtiger Name?«
    Aomame nickte ernst. »Wenn Sie bei der Polizei sind, dann tragen Sie Uniform und eine Pistole und fahren in einem Streifenwagen?«
    »Ich bin Polizistin geworden, weil ich genau das tun wollte, aber so richtig lassen sie mich nicht«, sagte Ayumi und knabberte geräuschvoll an einer Salzbrezel aus der Schale, die vor ihnen stand. »Im Augenblick besteht meine Aufgabe hauptsächlich darin, eine lächerliche Uniform zu tragen und in einem Ministreifenwagen Parksünder zu jagen. Eine Pistole darf ich natürlich nicht tragen. Schließlich muss man wegen harmloser Bürger, die ihren Toyota Corolla vor einem Hydranten geparkt haben, keine Warnschüsse abgeben. Meine Ergebnisse beim Schießtraining sind ziemlich gut, aber das interessiert niemanden. Ich bin ja nur eine Frau. Die kann ruhig Tag für Tag ihre Runde machen und mit Kreide Uhrzeiten und Nummern auf den Asphalt schreiben.«
    »Wenn Sie Pistole sagen, meinen Sie dann eine halbautomatische Beretta?«
    »Genau. Inzwischen haben wir nur noch solche. Die Beretta ist etwas zu schwer für mich. Wenn sie geladen ist, wiegt sie fast ein Kilogramm.«
    »Sie hat 850 Gramm Eigengewicht«, sagte Aomame.
    Ayumi sah Aomame an wie einen Pfandleiher, der eine Armbanduhr schätzt. »Warum wissen Sie das so genau?«
    »Ich habe mich schon immer für Waffen interessiert«, sagte Aomame. »Natürlich habe ich noch nie mit so einer geschossen.«
    »Aha«, sagte Ayumi verständnisvoll. »Ich schieße eigentlich gern. Die Beretta ist zwar schwer, aber weil ihr Rückstoß nicht so stark ist wie bei den alten Polizeiwaffen, kann auch eine kleine Frau sie problemlos handhaben, wenn sie genug übt. Aber so denken die da oben nicht. Sie bezweifeln, dass Frauen überhaupt mit Waffen umgehen können. Bei der Polizei sitzen nur Chauvis in Führungspositionen. Beim Schlagstocktraining war ich so gut, dass die meisten männlichen Kollegen nichts gegen mich ausrichten konnten. Aber anerkannt wurde das von niemandem. Das Einzige, was dabei herauskam, waren anzügliche Bemerkungen. ,Dich würde ich jederzeit meinen Schlagstock halten lassen. Sag nur Bescheid, wenn du mal üben willst‹ – solches Zeug. Da hat sich seit hundertfünfzig Jahren nichts geändert.«
    Ayumi nahm ein Päckchen Virginia Slims aus der Tasche, zog mit geübtem Griff eine heraus, steckte sie zwischen die Lippen und zündete sie mit einem schmalen goldenen Feuerzeug an. Langsam stieß sie den Rauch nach oben aus.
    »Warum bist du überhaupt zur Polizei gegangen? Ich darf doch du sagen?«, fragte Aomame.
    »Klar. Ursprünglich wollte ich gar nicht zur Polizei, aber einen normalen Bürojob wollte ich nicht machen. Und große Lust zu studieren hatte ich auch nicht. Entsprechend begrenzt war die Auswahl. Also machte ich im vierten Studienjahr die Aufnahmeprüfung für die Polizeischule. Außerdem sind ein paar Verwandte von mir bei der Polizei. Mein Vater, mein älterer Bruder und auch ein Onkel von mir. Und weil bei der Polizei im Prinzip alles von Seilschaften abhängt, hat man bessere Chancen auf eine Einstellung, wenn man dort Verwandte hat.«
    »Aha, eine richtige Polizistenfamilie.«
    »Genau. Aber bevor ich zur Polizei kam, hätte ich nie gedacht, dass Frauen dort derart diskriminiert werden. Weißt du, Polizistinnen sind Menschen zweiter Klasse. Du kriegst nur die spannendsten Aufgaben: Verkehrssünder schnappen, am Schreibtisch hocken und Protokolle ausfüllen, weibliche Verdächtige durchsuchen oder die Verkehrserziehung an Grundschulen übernehmen. Und eindeutig unfähigere Männer

Weitere Kostenlose Bücher