1Q84: Buch 1&2
einem Pferdeschwanz im Stil der fünfziger Jahre hatte sich auf den Hocker neben ihr gesetzt. Sie trug ein zierlich geblümtes Kleid, und über ihrer Schulter hing eine kleine Umhängetasche von Gucci. Ihre Nägel waren gepflegt und hellrosa lackiert. Sie war nicht dick, hatte aber ein etwas pausbäckiges, ausgesprochen liebenswürdiges Gesicht und einen üppigen Busen.
Aomame war leicht perplex, denn sie hatte nicht erwartet, von einer Frau angesprochen zu werden. Dies war ein Ort, an dem Männer Frauen ansprachen.
»Tom Collins«, sagte Aomame.
»Schmeckt der?«
»Es geht, aber er ist nicht sehr stark, und man kann sich über längere Zeit daran festhalten.«
»Warum heißt er ›Tom Collins‹?«
»Keine Ahnung«, sagte Aomame. »Vielleicht war das der Name des Typen, der ihn zuerst gemacht hat. Allerdings kann ich mir nicht vorstellen, dass das eine so besonders erstaunliche Erfindung war.«
Die Frau winkte den Barkeeper herbei und bestellte ebenfalls einen Tom Collins. Sie bekam ihn sofort.
»Darf ich mich neben Sie setzen?«, fragte die Frau.
»Natürlich, der Platz ist frei.« Und außerdem sitzt du ja schon, dachte Aomame, sagte aber nichts.
»Sie warten sicher auf jemanden?«, fragte die Frau.
Aomame musterte sie schweigend, ohne zu antworten. Die Frau war ungefähr drei oder vier Jahre jünger als sie.
»Übrigens habe ich kein Interesse an so was , Sie brauchen sich also keine Sorgen zu machen«, offenbarte die Frau ihr flüsternd. »Ich sage es mal vorsichtshalber. Mir sind auch Männer lieber. Wie Ihnen.«
»Wie mir?«
»Sie sind allein hier, um einen attraktiven Mann kennenzulernen, oder nicht?«
»Sieht man das?«
Die andere kniff die Augen zusammen. »Das weiß man doch. Diese Bar ist doch dafür da. Außerdem sind wir keine Professionellen.«
»Natürlich nicht«, sagte Aomame.
»Also, wenn es Ihnen recht ist, könnten wir ein Team bilden. Männern fällt es leichter, zwei Frauen anzusprechen als eine, die allein ist. Zu zweit ist es auch lustiger, und man fühlt sich irgendwie sicherer. Wir würden kein schlechtes Team abgeben, ich bin mehr der weibliche Typ, und Sie haben etwas Knabenhaftes an sich.«
Knabenhaft, dachte Aomame. Es war das erste Mal, dass jemand ihr das sagte.
»Wir kommen einander bestimmt nicht in die Quere, auch wenn wir zusammen auftreten. Das würde bestimmt gut klappen.«
Die Frau kräuselte die Lippen. »Ach, was heißt bestimmt, ganz sicher würde das klappen. Welchen Typ Mann bevorzugen Sie?«
»Wenn möglich jemanden in mittlerem Alter«, antwortete Aomame. »Für junge Männer habe ich nicht viel übrig. Und er sollte schütteres Haar haben.«
»Sie mögen also ältere Typen«, sagte die Frau sichtlich beeindruckt. »Also, mir gefallen ja vor allem junge, gutaussehende, temperamentvolle Männer, andere interessieren mich nicht. Aber wenn Sie es sagen, sollte ich es vielleicht auch mal mit so einem versuchen. Es geht doch nichts über Erfahrungen. Die in mittleren Jahren sind gut, sagen Sie? Also im Bett, meine ich.«
»Das hängt wohl von der Person ab«, erwiderte Aomame.
»Natürlich«, sagte die Frau und kniff die Augen zusammen, als würde sie eine Theorie überprüfen. »Man kann natürlich nicht verallgemeinern. Aber könnten Sie doch zusammenfassend etwas sagen?«
»Sie sind nicht schlecht. Die Häufigkeit spielt für sie keine Rolle. Außerdem nehmen sie sich mehr Zeit. Haben keine Eile. Und man kann es sich mehrmals von ihnen machen lassen.«
Die andere dachte einen Moment nach. »Bei Ihrer Beschreibung kriege ich richtig Lust. Ich werde es auf alle Fälle mal versuchen.«
»Das liegt bei Ihnen«, sagte Aomame.
»Haben Sie schon mal Sex zu viert ausprobiert? Mit Partnertausch?«
»Nein.«
»Ich auch nicht. Hätten Sie Interesse?«
»Ich glaube nicht«, sagte Aomame. »Wir können ein Team bilden, aber dann müsste ich noch etwas mehr über Sie wissen. Sonst widersprechen wir uns vielleicht.«
»Stimmt. Da haben Sie recht. Was möchten Sie denn wissen?«
»Also zum Beispiel … welchen Beruf Sie ausüben.«
Die Frau nahm einen Schluck von ihrem Tom Collins und stellte das Glas wieder auf den Deckel. Dann tupfte sie sich den Mund mit der Papierserviette ab und inspizierte die Flecken, die ihr Lippenstift darauf hinterlassen hatte.
»Schmeckt gut, oder?«, sagte sie. »Die Basis ist Gin, nicht wahr?«
»Gin, Zitronensaft und Soda.«
»Nicht direkt eine sensationelle Erfindung, aber schmeckt nicht übel.«
»Freut mich.«
»Ja,
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