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1Q84: Buch 1&2

Titel: 1Q84: Buch 1&2 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Haruki Murakami
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sie könne nicht ans Telefon kommen, hieß es. Am Ende musste ich unverrichteter Dinge aufgeben.«
    »Haben Sie diesen Leuten damals gesagt, dass Sie Eri bei sich aufgenommen haben?«
    Der Professor schüttelte den Kopf. »Ich hatte das Gefühl, es wäre besser, das zu verschweigen, solange ich nicht mit Fukada persönlich gesprochen hatte. Natürlich habe ich seither auf alle möglichen Arten immer wieder versucht, mich mit ihm in Verbindung zu setzen. Aber es ist mir nie gelungen.«
    Tengo runzelte die Stirn. »Das heißt, Sie konnten in diesen ganzen sieben Jahren nicht einmal mit Eris Eltern sprechen?«
    Der Sensei nickte. »Sieben Jahre lang kein Kontakt.«
    »Und Eris Eltern haben sieben Jahre lang nicht versucht, herauszufinden, was aus ihrer Tochter geworden ist?«
    »Ja, das ist für mich das größte Rätsel. Die Fukadas liebten Eri über alles. Aber wenn sie ihre Tochter jemandem anvertrauen wollten, kam als Anlaufstelle nur ich in Frage. Die Fukadas hatten jeden Kontakt zu ihren Familien abgebrochen. Eri ist aufgewachsen, ohne ihre Großeltern zu kennen. Außer mir gibt es niemanden, zu dem sie sie hätten schicken können. Außerdem hatten sie Eri eingeschärft, sich im Notfall an mich zu wenden. Ich kann einfach nicht verstehen, warum wir kein Wort von ihnen gehört haben.«
    »Sie haben vorhin erwähnt, die Vorreiter seien eine liberale Kommune gewesen«, sagte Tengo.
    »Genau. Die Vorreiter hatten sich von Anfang an immer ziemlich liberal verhalten. Doch kurz vor Eris Flucht begannen sie, sich mehr und mehr von der Außenwelt abzuschotten. Das erste Anzeichen für mich war der nachlassende Kontakt zu Fukada. Er war immer ein begeisterter Briefschreiber gewesen und schickte mir lange Episteln, in denen er mir die inneren Angelegenheiten der Kommune, seine eigene geistige Verfassung und alles mögliche andere darlegte. Doch ab einem gewissen Zeitpunkt blieben diese Berichte aus. Auf meine Briefe erhielt ich keine Antwort mehr. Auch telefonisch konnte ich ihn kaum erreichen. Und wenn ich ihn ausnahmsweise mal an den Apparat bekam, waren die Gespräche sehr kurz. Fukada drückte sich so knapp aus, als werde er abgehört.«
    Der Sensei faltete die Hände im Schoß.
    »X-mal bin ich hingefahren. Ich wollte unbedingt wegen Eri mit Fukada sprechen, und da Briefe und Anrufe keinen Erfolg brachten, blieb mir nichts anderes übrig, als ihn persönlich aufzusuchen. Aber ich erhielt nicht einmal Zutritt zum Gelände. Buchstäblich weggejagt haben sie mich. Ich verhandelte, ich flehte, aber sie ließen mich einfach nicht hinein. Mittlerweile ist das gesamte Vorreiter-Gelände von einem hohen Zaun umgeben, und alle Außenstehenden werden am Tor abgefertigt.
    Die Öffentlichkeit hat keine Ahnung, was im Inneren der Kommune vorgeht. Ich kann ja verstehen, wenn eine radikale Gruppierung wie Akebono Geheimhaltung übt. Ihr Ziel war ein gewaltsamer Umsturz, also hatten sie eine Menge zu verbergen. Aber die Vorreiter waren friedlich und betrieben nur organische Landwirtschaft. Von Anfang an hatten sie sich Außenstehenden gegenüber konsequent aufgeschlossen und freundlich verhalten. Deshalb konnten sie ja auch die Einheimischen so für sich einnehmen. Heute ist das Gelände der Vorreiter eine Festung. Aussehen und Verhalten der Mitglieder haben sich offenbar völlig verändert. Die Nachbarn sind ebenso bestürzt wie ich. Wenn ich nur daran denke, was den Fukadas zugestoßen sein könnte, mache ich mir die größten Sorgen. Damals konnte ich nichts weiter tun, als mich liebevoll ihrer Tochter Eri anzunehmen. Inzwischen sind sieben Jahre vergangen, ohne dass sich das Geringste geklärt hätte.«
    »Also wissen Sie noch nicht einmal, ob die Fukadas noch leben?«, fragte Tengo.
    Professor Ebisuno schüttelte den Kopf. »Sie sagen es. Ich habe nicht den geringsten Anhaltspunkt. Ich bemühe mich, nicht das Schlimmste zu befürchten. Aber ich kann es nicht normal finden, dass mich seit sieben Jahren keine Nachricht von den Fukadas erreicht. Was bleibt mir übrig, als anzunehmen, dass ihnen etwas zugestoßen ist.« Hier senkte er die Stimme. »Vielleicht werden sie gewaltsam festgehalten. Oder vielleicht Schlimmeres.«
    »Schlimmeres?«
    »Ja, man muss mit dem Schlimmsten rechnen. Die Vorreiter sind nicht mehr die friedliche bäuerliche Gemeinschaft, die sie einmal waren.«
    »Diese sogenannten Vorreiter haben sich also in eine gefährliche Richtung entwickelt?«
    »Das vermute ich. Den dortigen Nachbarn zufolge ist die Zahl der

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