1Q84: Buch 3
eingereichte Manuskript, noch bevor es von der Jury begutachtet werden konnte, in die Hände einer dritten Person und wurde in großem Umfang bearbeitet. Das insgeheim überarbeitete Werk erhielt den Preis, erregte ziemlich großes Aufsehen, erschien in Buchform und wurde ein Bestseller. Das stimmt doch?«
»Das kommt auf die Sichtweise an«, sagte Komatsu. »Es kommt praktisch nie vor, dass ein eingereichtes Manuskript nicht nach den Vorgaben eines Lektors oder Redakteurs bearbeitet –«
Der Kahlkopf hob die Hände, um Komatsus Redefluss zu unterbrechen. »Selbstverständlich ist nichts Unlauteres daran, dass ein Autor dem Rat eines Lektors folgend Änderungen an seinem Manuskript vornimmt. Aber dass ein Dritter ein Werk überarbeitet, damit es einen Preis bekommt, verstößt zumindest gegen die guten Sitten. Und sich dann noch mit Hilfe einer Scheinfirma die Beteiligung an dem Buch zu sichern, ist moralisch aufs Schärfste zu verurteilen, auch wenn ich nicht weiß, wie ein solcher Fall juristisch gedeutet werden würde. Jedenfalls gibt es für Ihr Verhalten keine Rechtfertigung. Die Presse würde großes Aufhebens von der Sache machen, und Ihr Verlag würde sehr stark an Glaubwürdigkeit verlieren. Das wissen Sie doch ganz genau, Herr Komatsu. Wir kennen die Umstände bis ins Detail. Wir haben konkrete Beweise und könnten die Öffentlichkeit aufklären. Also verschonen Sie mich mit Ihren schäbigen Ausreden. So was zieht bei uns nicht. Wir verschwenden nur gegenseitig unsere Zeit.«
Komatsu nickte stumm.
»Wenn das alles rauskommt, müssen Sie den Verlag verlassen; und nicht nur das, Sie würden aus dem Literaturbetrieb ausgestoßen werden. Sie würden nie wieder Fuß darin fassen. Zumindest nicht offiziell.«
»Wahrscheinlich nicht«, musste Komatsu eingestehen.
»Im Augenblick ist die Anzahl der Eingeweihten noch begrenzt«, sagte der Kahle. »Bescheid wissen nur Sie, Eriko Fukada, Professor Ebisuno und Tengo Kawana, der für die Bearbeitung des Manuskripts zuständig war. Und noch ein paar andere.«
Komatsu hakte nach. »Meiner Hypothese folgend wären die ›paar anderen‹, von denen sie sprechen, Mitglieder der Vorreiter, oder?«
Der Kahle nickte kurz. »Hypothetisch betrachtet wäre das der Fall.«
Er machte eine Pause, damit Komatsu das Gesagte verarbeiten konnte. Dann fuhr er fort.
»Falls Ihre Hypothese stimmt, müssten sie sich hier mit Ihnen befassen. Man könnte Sie als Ehrengast in diesem Raum festhalten, so lange man wollte. Ohne größere Mühe. Es wären auch einige Möglichkeiten vorstellbar, um diese Zeit zu verkürzen. Einschließlich solcher, die für beide Seiten kaum als angenehm zu bezeichnen wären. Jedenfalls haben sie sowohl die Macht als auch die Mittel dazu. So weit können Sie mir doch folgen?«
»Ich glaube schon«, erwiderte Komatsu.
»Gut«, sagte der Kahle.
Auf einen Fingerzeig des Kahlen verließ der mit dem Pferdeschwanz den Raum und kam nach einer Weile mit einem Telefon zurück. Er stöpselte das Kabel in eine Dose am Fußboden und reichte Komatsu den Hörer. Der Kahle befahl ihm, im Verlag anzurufen.
»Sie sagen jetzt, Sie lägen seit ein paar Tagen mit einer schweren Grippe und hohem Fieber im Bett und könnten eine Weile nicht zur Arbeit kommen. Anschließend legen Sie bitte sofort auf.«
Komatsu rief im Büro an, sagte kurz, was man ihm aufgetragen hatte, und unterbrach das Gespräch, ohne auf die Fragen seines Kollegen zu antworten. Der Kahle nickte, worauf der Pferdeschwanz das Telefonkabel aus der Buchse zog und mit dem Apparat den Raum verließ. Der Kahlkopf betrachtete einen Moment forschend seine Handrücken.
»Das wär’s für heute«, sagte er dann zu Komatsu. Seine Stimme hatte nun beinahe einen Anflug von Herzlichkeit. »Wir reden ein anderes Mal weiter. Bis dahin denken Sie bitte über das nach, was wir heute besprochen haben.«
Damit verschwanden die beiden. Und Komatsu verbrachte die nächsten zehn Tage schweigend in dem kleinen Raum. Dreimal am Tag brachte ihm der junge Mann mit der Maske die üblichen, nicht sehr schmackhaften Mahlzeiten. Am vierten Tag hatte man ihm eine Art baumwollenen Pyjama zum Wechseln gegeben, aber duschen ließ man ihn bis zum Schluss nicht. An dem kleinen Waschbecken im Bad konnte er sich lediglich frischmachen. Er verlor zunehmend das Gefühl für die einzelnen Tage.
Komatsu mutmaßte, dass man ihn in das Hauptquartier der Sekte in Yamanashi gebracht hatte. Er hatte es schon einmal in den Nachrichten im
Weitere Kostenlose Bücher