1Q84: Buch 3
schrillen Schrei des Vogels, der immer wieder vor dem Fenster zu hören gewesen war. »Wir ziehen uns also tatsächlich aus dem Minenfeld zurück?«, fragte er.
Komatsu bekam seinen zweiten Highball und befeuchtete sich die Kehle damit.
»Professor Ebisuno hat noch keinen Beschluss gefasst. Er brauche Zeit zum Nachdenken, sagt er. Aber was bleibt uns denn anderes übrig, als zu tun, was diese Leute verlangen? Ich habe natürlich sofort gehandelt und alles getan, um jede Neuauflage von Die Puppe aus Luft zu unterbinden. Inzwischen ist das Buch tatsächlich vergriffen. Es wird auch keine Taschenbuchausgabe geben. Die bisherigen Auflagen sind verkauft, und der Verlag hat ausreichend Umsatz gemacht. Ein finanzieller Verlust sollte also nicht entstanden sein. Natürlich war es – wie es in einer Firma so ist – nicht ganz einfach, die Zustimmung des Vorstands zu bekommen. Aber man braucht nur flüchtig die Möglichkeit eines Ghostwriter-Skandals aufblitzen zu lassen, dann fangen die da oben schon an zu bibbern. Am Ende haben sie getan, was ich wollte. Jetzt werden sie mir im Verlag eine Weile die kalte Schulter zeigen, aber das bin ich ja gewohnt.«
»Professor Ebisuno hält es also für glaubhaft, dass Fukaeris Eltern gestorben sind?«
»Scheint so«, sagte Komatsu. »Er sagte nur, er brauche etwas Zeit, um ihren Tod als Realität zu begreifen und akzeptieren zu können. Zumindest soweit ich es überblicke, sind die Typen aufrichtig. Ich hatte wirklich den Eindruck, dass sie, um Schwierigkeiten zu vermeiden, zu gewissen Zugeständnissen bereit sind. Deshalb haben sie zu einem so extremen Mittel wie meiner Entführung gegriffen. Sie wollten sichergehen, dass wir die Botschaft verstehen. Sie hätten mir ja nicht sagen müssen, dass sie die Fukadas heimlich auf ihrem Gelände eingeäschert haben. Die illegale Beseitigung von Leichen ist schließlich kein leichtes Vergehen – auch wenn es inzwischen schwer zu beweisen wäre. Aber trotzdem haben sie es mir erzählt. Das heißt, sie haben sich in die Karten schauen lassen. Schon deshalb glaube ich, dass dieser Kahlkopf die Wahrheit gesagt hat. Vielleicht nicht bis ins Detail, aber im Großen und Ganzen schon.«
Tengo fasste noch einmal zusammen, was Komatsu ihm erzählt hatte. »Fukaeris Vater war also ›er, der die Stimmen hört‹. Mit anderen Worten, er erfüllte die Aufgabe eines Propheten. Weil jedoch seine Tochter Fukaeri Die Puppe aus Luft verfasst hat und das Buch zum Bestseller wurde, haben die Stimmen aufgehört, zu ihm zu sprechen. Mit dem Ergebnis, dass der Vater eines natürlichen Todes starb.«
»Oder sich auf ganz natürliche Weise das Leben genommen hat«, sagte Komatsu.
»Und jetzt ist es die wichtigste Mission der Sekte, einen neuen Propheten zu finden. Ohne die Stimmen verliert ihre Gemeinschaft ihre existentielle Grundlage. Deshalb können sie auf uns keine Rücksicht nehmen. Darauf läuft es doch ungefähr hinaus, oder?«
»Wahrscheinlich.«
» Die Puppe aus Luft beinhaltet Informationen, die für sie von allerhöchster Bedeutung sind. Weil sie gedruckt und in der Öffentlichkeit verbreitet wurde, sind die Stimmen verstummt, und ihre Kanäle sind tief im Untergrund verborgen. Aber welche Informationen sind das konkret?«
»Darüber habe ich in diesen letzten vier Tagen meiner Gefangenschaft unentwegt nachgedacht«, sagte Komatsu. » Die Puppe aus Luft ist ja kein langer Roman. Geschildert wird darin eine Welt, in der die Little People ein und aus gehen. Die Heldin ist ein zehnjähriges Mädchen, das in einer isolierten Gemeinschaft lebt. Die Little People erscheinen ihr heimlich des Nachts und fertigen eine Puppe aus Luft an. In der Puppe liegt eine Art Klon des Mädchens, und die Beziehung zwischen Mother und Daughter entsteht. Außerdem hat diese Welt zwei Monde. Einen kleinen und einen großen, vielleicht als Symbole für Mother und Daughter. Das Vorbild für die Heldin der Geschichte ist vermutlich Fukaeri selbst. Sie weigert sich, die Mother zu sein, und flieht aus der Gemeinschaft. Die Daughter lässt sie zurück. Was mit der Daughter geschieht, wird nicht geschildert.«
Tengo betrachtete das in seinem Glas schmelzende Eis.
»›Er, der die Stimmen hört‹, braucht die Daughter als Medium«, sagte Tengo. »Durch sie hat er die Stimmen zum ersten Mal vernommen. Oder sie in irdische Sprache übersetzen können. Um der Botschaft, die die Stimmen verkünden, richtige Form zu geben, müssen beide anwesend sein, Receiver und Perceiver –
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