1Q84: Buch 3
dem Boden sitzend zu sich selbst. Letzten Endes ist es schließlich Aomame, die ich finden muss. Eriko Fukada mag interessant sein, aber sie lenkt mich nur von der Haupthandlung ab. Sie ist nicht mehr als eine zufällig aufgetauchte Nebendarstellerin. Wenn sie gehen will, muss ich sie eben gehen lassen, wohin sie möchte.
Nachdem Fukaeri die Straße überquert hatte, schritt sie rasch in Richtung Bahnhof davon, ohne sich auch nur ein einziges Mal umzusehen. Ushikawa schaute ihr durch den Spalt in den verblichenen Vorhängen nach. Als er die grüne Schultertasche, die auf ihrem Rücken hin und her schwang, nicht mehr sehen konnte, kroch er von der Kamera zur Wand und wartete darauf, dass die Kraft wieder in seinen Körper zurückkehrte. Er steckte sich eine Seven Stars in den Mund und zündete sie mit seinem Feuerzeug an. Er sog den Rauch tief ein, aber die Zigarette schmeckte nach nichts.
Seine Kraft kehrte nicht zurück. Die Taubheit in seinen Armen und Beinen wollte einfach nicht weichen. Außerdem bemerkte er, dass sich eine sonderbare Leere in ihm aufgetan hatte. Ein Hohlraum, der nur aus einem Mangel und dem reinen Nichts bestand. Ushikawa war in diesen unbekannten Hohlraum, der sich in ihm aufgetan hatte, hinabgesunken und kam nicht mehr heraus. Er verspürte einen dumpfen Schmerz in der Brust. Das heißt, es war eigentlich kein richtiger Schmerz, sondern eine Art Missverhältnis im Druckausgleich, entstanden an dem Punkt, wo Fehlendes und Vorhandenes aufeinandertrafen.
Lange saß Ushikawa auf dem Grund dieser inneren Höhle und rauchte, an die Wand gelehnt, Zigaretten, die keinen Geschmack hatten. Es war das Mädchen, das diesen Hohlraum zurückgelassen hatte, als es fortgegangen war. Oder nein, dachte Ushikawa. Wahrscheinlich war er schon immer in mir, und sie hat mich erst auf seine Existenz gestoßen.
Ushikawa erkannte, dass das Mädchen namens Eriko Fukada ihn aus der Bahn geworfen hatte. Ein regloser, scharfer Blick hatte genügt, um den durch nichts zu erschütternden Ushikawa in seinen Grundfesten zu erschüttern, so als hätte er sich leidenschaftlich verliebt. So etwas hatte Ushikawa in seinem ganzen Leben noch nie empfunden.
Da stimmt doch etwas nicht, dachte er. Warum sollte ich mich in dieses Mädchen verlieben? Ein so unpassendes Paar wie Eriko Fukada und mich gibt es kein zweites Mal auf der Welt. Da muss ich nicht extra ins Bad gehen und in den Spiegel schauen. Und es ist nicht nur das Äußere. Niemand könnte ihr ferner sein. Auch fühlte er sich nicht erotisch von der jungen Frau angezogen. Ushikawas sexuelle Bedürfnisse waren nicht sehr ausgeprägt, und so genügte es ihm vollauf, ein- oder zweimal im Monat eine ihm bekannte Prostituierte auf ein Hotelzimmer zu bestellen. Es war für ihn nichts anderes, als zum Friseur zu gehen.
Nach längerem Nachdenken kam Ushikawa zu dem Schluss, dass es sich um ein spirituelles Phänomen handeln musste. Was sich zwischen ihm und Fukaeri ereignet hatte, ließ sich vielleicht als seelischer Austausch bezeichnen. Es war kaum zu glauben, aber das schöne Mädchen und Ushikawa hatten einander auf einer tieferen, verborgenen Ebene erkannt, indem sie sich durch ein getarntes Kameraobjektiv angeblickt hatten. Es war nur ein kurzer Moment gewesen, aber zwischen ihm und dem Mädchen hatte sich eine Art gegenseitiger Offenbarung ereignet. Dann war das Mädchen verschwunden, und Ushikawa war allein mit seiner leeren Höhle zurückgeblieben.
Das Mädchen wusste, dass er sie heimlich durch den Spalt im Vorhang beobachtete. Sicher wusste sie auch, dass er ihr bis zu dem Supermarkt am Bahnhof gefolgt war. Damals hatte sie sich kein einziges Mal umgedreht, und dennoch zweifelte er nicht daran, dass sie ihn hatte sehen können. Allerdings hatte er nicht den Eindruck, dass sie ihn wegen seines Tuns verurteilte. Er spürte, dass sie ihn von ferne und auf dieser tieferen Ebene verstand.
Das Mädchen war erschienen und wieder verschwunden. Wir kamen aus verschiedenen Richtungen, dachte Ushikawa, und zufällig kreuzten sich unsere Wege; unsere Blicke berührten sich für einen kurzen Moment, dann ging jeder wieder seines Weges. Sicher wird Eriko Fukada mir kein zweites Mal begegnen. So etwas kann nur einmal geschehen. Und selbst wenn wir uns wiedersehen würden, was könnte ich von ihr erwarten, das über das hinausgeht, was bereits geschehen ist? Wir stehen jetzt wieder an weit voneinander entfernten Enden der Welt. Und Worte, die diese Kluft überbrücken könnten,
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