1Q84: Buch 3
Einmalhandschuhe, wie Chirurgen sie verwenden.
»Es tut mir sehr leid«, sagte Tamaru leise. Seine Stimme klang schwermütig. Wieder griff er nach der Plastiktüte und stülpte sie Ushikawa über den Kopf. Dann legte er ihm den dicken Gummiring um den Hals. Seine Bewegungen waren schnell und entschlossen. Ushikawa wollte noch protestieren, aber die Worte blieben ihm buchstäblich im Halse stecken und erreichten natürlich niemanden mehr. Warum, dachte Ushikawa unter der Plastiktüte. Ich habe ihm doch alles, was ich weiß, wahrheitsgemäß gesagt. Warum tötet er mich jetzt?
In seinem berstenden Schädel dachte er an das kleine Haus in Chuorinkan und seine beiden Töchter. Auch an den Hund, den sie dort gehalten hatten, dachte er. Er hatte den kleinen Hund mit dem länglichen Leib nie gemocht, und auch der Hund hatte Ushikawa nicht gemocht. Ein dummer Köter, der ständig kläffte. Dauernd hatte er den Teppich angenagt und in den Flur gepinkelt. Ganz anders als der kluge Mischlingshund, den Ushikawa in seiner Kindheit gehabt hatte. Dennoch galt Ushikawas letzter Gedanke im Leben diesem albernen, kleinen Hund, der auf dem Rasen im Garten herumrannte.
Tamaru sah zu, wie Ushikawas rundlicher, gefesselter Leib auf den Tatami zappelte wie ein großer Fisch an Land. Doch weil Ushikawa so geschickt verschnürt war, brauchte Tamaru, ganz gleich, wie wild dieser sich gebärdete, nicht zu fürchten, dass die Nachbarn etwas hören würden. Er wusste sehr wohl, dass Ushikawa einen qualvollen Tod starb. Aber dies war die effizienteste und sauberste Methode, jemanden zu töten. Keine Schreie, kein Blut. Seine Augen folgten dem Sekundenzeiger seiner TAG -Heuer-Taucheruhr. Nach etwa drei Minuten hörte Ushikawa auf, sich zu winden. Die Bewegung ging in ein krampfhaftes Zucken über, als würde etwas ihn in Vibration versetzen, doch auch dies kam bald zum Stillstand. Tamaru schaute noch einmal drei Minuten lang auf den Sekundenzeiger. Als sie um waren, legte er Ushikawa die Hand auf die Halsschlagader, um sich zu vergewissern, dass jedes Zeichen von Leben erloschen war. Ein leichter Geruch nach Urin stieg von der Leiche auf. Ushikawa hatte seine Blase diesmal völlig entleert, was man ihm wirklich nicht verübeln konnte. So wie er gelitten hatte.
Tamaru entfernte den Gummiring von seinem Hals und zog ihm die Plastiktüte vom Gesicht. Sie war fest in seinen Mund gesaugt. Ushikawa war mit weit aufgerissenen Augen und diagonal verzerrtem Mund gestorben. Seine schiefen, ungepflegten Zähne waren entblößt, und seine grünlich bemooste Zunge lag frei. Sein großer, asymmetrischer Schädel betonte die Verunstaltung noch. Der Anblick erinnerte an ein Gemälde von Munch. Er musste grausam gelitten haben.
»Tut mir leid«, sagte Tamaru. »Mir hat das auch keinen Spaß gemacht.«
Mit beiden Händen lockerte er Ushikawas Gesichtsmuskeln und rückte seinen Kiefer gerade, um den Anblick wenigstens ein bisschen erträglicher zu machen. Mit einem Handtuch aus der Küche wischte er Ushikawa den Speichel vom Mund. Es dauerte ein wenig, aber dann sah er allmählich etwas besser aus. Zumindest musste man jetzt nicht mehr sofort die Augen abwenden. Dennoch wollte es Tamaru partout nicht gelingen, Ushikawas Lider zu schließen.
»Wie heißt es bei Shakespeare?«, sagte Tamaru mit ruhiger Stimme zu dem plumpen, missgestalteten Schädel. »Etwas in der Art: Wer heute stirbt, der braucht es morgen nicht zu tun. Sehen wir’s mal von der guten Seite.«
Er konnte sich nicht erinnern, ob das aus Heinrich IV. oder Richard III. stammte. Aber dies war das geringste von Tamarus Problemen, und Ushikawa legte bestimmt keinen Wert mehr auf korrekte Quellenangaben. Tamaru löste die Fesseln von Ushikawas Händen und Füßen. Er hatte weiche, schmale Handtücher verwendet, die er auf eine besondere Art verknotet hatte, damit sie keine Spuren auf der Haut hinterließen. Er packte die Handtücher, die Plastiktüte, die er Ushikawa über den Kopf gezogen hatte, und den dicken Gummiring in eine Kunststofftasche, die er zu diesem Zweck mitgebracht hatte. Anschließend schaute er Ushikawas Habseligkeiten kurz durch und steckte sämtliche Fotos ein, die dieser gemacht hatte. Auch die Kamera und das Stativ packte er in die Tasche. Er beseitigte alles, was darauf hinwies, dass Ushikawa hier jemanden beobachtet hatte. Man würde sich fragen, wem sein Interesse gegolten hatte. Und aller Wahrscheinlichkeit nach würde irgendwann Tengo Kawanas Name auftauchen. Auch das eng
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