1Q84: Buch 3
wirklich, dass ich ihn töte. An jenem Abend in seiner Suite im Hotel Okura.«
»Seine Leibwächter hatten dich nicht durchschaut, aber der Leader kannte deine Absichten?«
»Woher, weiß ich nicht, aber er hat alles schon vorher gewusst«, sagte Aomame. »Er hat dort auf mich gewartet .«
Tamaru hielt kurz inne und fuhr dann fort. »Was ist dann passiert?«
»Wir haben ein Abkommen geschlossen.«
»Davon hast du mir nichts erzählt«, sagte Tamaru steif.
»Ich hatte keine Gelegenheit dazu.«
»Dann erzähl es mir jetzt.«
»Während der Stunde, in der ich seine Muskeln gedehnt habe, hat er geredet. Er wusste auch über Tengo Bescheid. Sogar von der Verbindung zwischen uns wusste er. Woher, das ist mir ein Rätsel. Und er sagte, ich solle ihn töten. Denn er wolle so schnell wie möglich von seinen grausamen Schmerzen erlöst werden. Im Gegenzug würde er Tengos Leben retten. Also fasste ich mir ein Herz und brachte ihn um. Auch wenn ich es nicht getan hätte, wäre er ganz sicher gestorben. Aber ich muss zugeben, dass ich in Anbetracht der Abscheulichkeiten, die er begangen hatte, in Versuchung war, ihn einfach leiden zu lassen.«
»Du hast Madame nichts von diesem Tauschhandel erzählt?«
»Ich ging ins Hotel Okura, um den Leader zu töten, und diese Mission habe ich erfüllt«, sagte Aomame. »Tengo geht nur mich etwas an.«
»Gut«, sagte Tamaru halb resigniert. »Du hast deinen Auftrag zufriedenstellend erledigt. Das gebe ich zu. Und Tengo Kawana ist deine Privatsache. Allerdings wurdest du um diese Zeit herum schwanger. Das ist ein Problem, das man nicht so einfach außer Acht lassen kann.«
»Nicht ›um diese Zeit herum‹. Es war genau an dem Abend, als es das Unwetter und den Wolkenbruch in der Innenstadt gab. Just an dem Abend, an dem ich den Leader ins Jenseits befördert habe. Und, wie gesagt, ohne dass ich mit jemandem geschlafen hätte.«
Tamaru seufzte. »Das Problem ist folgendes: Ich kann nur glauben, was du sagst, oder eben nicht. Eins von beidem. Ich habe dich immer für einen ziemlich vertrauenswürdigen Menschen gehalten, und diese Einstellung möchte ich beibehalten. Aber ich sehe einfach nicht, wie das passiert sein soll. Ich bin ein Mensch, der hauptsächlich deduktiv denkt.«
Aomame schwieg.
»Könnte zwischen der Ermordung des Leaders und deiner rätselhaften Empfängnis eine ursächliche Beziehung bestehen?«
»Darüber kann ich nichts sagen.«
»Könnte es nicht vielleicht sein, dass es das Kind des Leaders ist? Wäre es möglich, dass er dich damals irgendwie geschwängert hat – wie, weiß ich nicht? Dann würde ich verstehen, dass die Vorreiter dich unbedingt in ihre Hände bekommen wollen. Sie brauchen einen Nachfolger.«
Aomames Hand verkrampfte sich um den Hörer, und sie schüttelte den Kopf. »Das ist ausgeschlossen. Es ist Tengos Kind. Ich weiß es.«
»Auch das kann ich dir nur glauben oder nicht.«
»Ich habe momentan selbst keine Erklärung dafür.«
Tamaru seufzte abermals. »Also gut. Nehmen wir vorläufig einmal an, es ist Tengo Kawanas Kind. Du weißt es ganz sicher. Aber ich kann einfach die Logik hinter der Sache nicht erkennen. Am Anfang wollen sie dich schnappen und schwer bestrafen. Doch irgendwann passiert etwas oder klärt sich. Und auf einmal brauchen sie dich. Sie garantieren für deine Sicherheit und sagen, sie hätten dir ein Angebot zu machen. Und darüber möchten sie ziemlich bald persönlich mit dir reden. Worum zum Teufel geht es da?«
»Nicht ich bin es, die sie brauchen«, sagte Aomame. »Sie brauchen das Kind in meinem Bauch. Sie haben erfahren, dass ich schwanger bin.«
»Hoho«, rief irgendwo einer der Little People.
»Das geht mir ein bisschen zu schnell«, sagte Tamaru und gab sein kehliges Brummen von sich. »Ich sehe noch immer nicht den Zusammenhang.«
Das liegt an den beiden Monden, dachte Aomame, sie reißen alles aus dem Zusammenhang. Aber sie sagte es nicht.
»Hoho«, riefen die übrigen sechs Little People im Chor.
»Sie brauchen jemanden, der die Stimmen hört , meinte der Typ, mit dem ich telefoniert habe«, sagte Tamaru. »Wenn sie die Stimmen verlieren, löst sich ihre Gemeinschaft auf. Was es konkret bedeutet, diese Stimmen zu hören, weiß ich nicht, aber so hat er es gesagt. Heißt das, das Kind in deinem Bauch könnte zu einer Person werden, die ›die Stimmen hört‹?«
Aomame legte sacht die Hand auf ihren Unterleib. Mother und Daughter, dachte sie, sprach es aber nicht aus. Sie wollte nicht, dass die
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