1Q84: Buch 3
Monde es hörten.
»Ich weiß es nicht«, sagte sie nachdenklich. »Aber ich kann mir nicht vorstellen, wozu sie mich sonst brauchen sollten.«
»Aber aus welchem Grund sollte ein Kind von Tengo Kawana und dir über diese besondere Gabe verfügen?«
»Ich weiß nicht«, sagte Aomame.
Ihr kam der Gedanke, dass der Leader ihr vielleicht im Austausch für sein Leben seinen Nachfolger anvertraut hatte. Vielleicht hatte er an jenem Unwetterabend den Schaltkreis an einer Stelle geöffnet, an der verschiedene Welten sich kreuzten, und hatte Tengo und sie auf diese Weise eins werden lassen.
»Ganz gleich, von wem das Kind ist und mit welchen Eigenschaften es auf die Welt kommt, du hast nicht die Absicht, mit der Sekte zu verhandeln. Sehe ich das richtig? Egal, was sie dir dafür anbieten. Auch wenn sie freiwillig alle Rätsel für dich lösen.«
»Unter gar keinen Umständen«, sagte Aomame.
»Trotzdem werden sie mit aller Macht versuchen, es in ihre Hände zu bekommen. Ohne Rücksicht auf Verluste«, sagte Tamaru. »Und du hast einen Schwachpunkt: Tengo Kawana. Vielleicht ist es sogar dein einziger Schwachpunkt, aber dafür ist es ein großer. Wenn sie davon erfahren, werden sie sich auf ihn stürzen.«
Tamaru hatte recht. Tengo Kawana war ein tödlicher Schwachpunkt, denn für Aomame war er der Sinn ihres Lebens.
»Es ist zu gefährlich für dich, noch länger dortzubleiben. Wir müssen dich an einen sichereren Ort bringen, bevor unsere Freunde von dir und Kawana erfahren.«
»Im Augenblick gibt es auf dieser Welt keinen sicheren Ort«, sagte Aomame.
Tamaru überlegte. »Bitte sag mir, was du vorhast.«
»Ich muss zuerst Tengo sehen. Bis dahin kann ich nicht weg, auch wenn es hier noch so gefährlich ist.«
»Was machst du, wenn du ihn siehst?«
»Ich weiß genau, was ich tun muss.«
Tamaru schwieg kurz. »Ohne den Schatten eines Zweifels?«
»Ich weiß nicht, ob es gelingt. Aber ich weiß genau, was ich zu tun habe. Ohne den Schatten eines Zweifels.«
»Aber du willst mir nicht sagen, was du vorhast?«
»Tut mir leid, aber ich kann nicht. Das gilt nicht nur für dich. Ich kann es niemandem sagen. Denn wenn ich es ausspreche, weiß es in derselben Sekunde die ganze Welt.«
Die Monde lauschten. Die Little People lauschten. Die Wohnung lauschte. Nichts durfte aus ihrem Inneren nach außen dringen. Sie musste ihr Herz zu einer Festung machen.
Auf der anderen Seite der Leitung klopfte Tamaru mit dem Kugelschreiberkopf auf seinen Schreibtisch. Aomame hörte das regelmäßige, trockene Klacken. Ein einsames Geräusch ohne Widerhall.
»Gut. Ich werde versuchen, Kontakt zu Tengo Kawana aufzunehmen. Allerdings muss ich vorher die Zustimmung von Madame einholen. Mein Auftrag lautete, dich möglichst schnell woanders hinzubringen. Aber du sagst, du kannst unter keinen Umständen weg, bevor du Tengo Kawana getroffen hast. Es wird nicht einfach sein, ihr die Gründe dafür zu erklären. Das kannst du dir ja denken.«
»Es ist schwierig, etwas Unlogisches logisch zu erklären.«
»Ja. Ungefähr so schwierig, wie in einer Austernbar in Roppongi eine echte Perle zu finden. Aber ich werde mir Mühe geben.«
»Danke.«
»Für mich ist das, was du behauptest, bar jeder Vernunft. Ich kann keine logische Verbindung zwischen Ursache und Wirkung erkennen. Aber je länger wir reden, desto mehr habe ich das Gefühl, dass ich akzeptiere, was du sagst. Wie kommt das nur?«
Aomame schwieg.
»Madame vertraut dir bedingungslos«, sagte Tamaru. »Und da du dir so sicher bist, wird auch sie keinen Grund dafür sehen, dass du dich nicht mit Tengo Kawana treffen solltest. Offenbar seid ihr ja untrennbar verbunden.«
»Mehr als alles auf der Welt«, sagte Aomame.
Mehr als alles auf jeder Welt, berichtigte sie sich in Gedanken.
»Wenn ich sage, das sei zu gefährlich, und mich weigere, Tengo Kawana zu kontaktieren, wirst du dich wahrscheinlich auf den Weg zu diesem Mietshaus machen, um ihn zu sehen, oder?«
»Klar«, sagte Aomame.
»Und niemand kann das verhindern.«
»Es wäre zwecklos.«
Tamaru machte eine Pause. »Welche Botschaft soll ich Tengo Kawana also überbringen?«
»Ich möchte, dass er nach Einbruch der Dunkelheit auf die Rutschbahn kommt. Egal wann, es muss nur dunkel sein.«
»In Ordnung. Ich richte es ihm aus. Nach Einbruch der Dunkelheit auf der Rutschbahn. «
»Und noch etwas: Er soll alles, was er nicht zurücklassen will, mitbringen. Sag ihm das. Dennoch muss er beide Hände frei haben.«
»Wie weit
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