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1Q84: Buch 3

1Q84: Buch 3

Titel: 1Q84: Buch 3 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Haruki Murakami
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etwas angespannten Situation. Sie muss bei jedem Schritt auf der Hut sein. Ein Fehltritt, und alles ist aus.«
    »Alles ist aus«, wiederholte Tengo mechanisch.
    »Sie sollten nicht zu spät kommen«, sagte der Mann. »Die Zeit ist ein wichtiger Faktor.«
    Die Zeit ist ein wichtiger Faktor, wiederholte Tengo im Geiste. Was war nur mit der Wortwahl des Mannes? Oder war er selbst einfach nur zu nervös?
    »Ich komme heute Abend um sieben Uhr zur Rutschbahn«, sagte Tengo. »Sollte aus irgendeinem Grund etwas dazwischenkommen, bin ich morgen um die gleiche Zeit wieder dort.«
    »Klingt gut. Sie wissen also, um welche Rutschbahn es geht.«
    »Ich glaube schon.«
    Tengo sah auf die Uhr. Er hatte noch elf Stunden Zeit.
    »Übrigens habe ich gehört, dass letzten Sonntag Ihr Herr Vater gestorben ist. Mein herzlichstes Beileid«, sagte der Mann.
    Während Tengo sich automatisch bedankte, fragte er sich, woher der Mann das wusste.
    »Könnten Sie mir noch ein bisschen mehr über Fräulein Aomame berichten?«, fragte Tengo. »Wo sie ist, was sie macht und so weiter?«
    »Sie ist nicht verheiratet und war in einem Sportstudio in Hiroo beschäftigt. Sie ist eine hochqualifizierte Trainerin, aber aus gewissen Gründen muss sie im Moment aussetzen. Neuerdings wohnt sie zufällig ganz in Ihrer Nähe. Alles Weitere sollten Sie sie lieber persönlich fragen.«
    »Auch was das für eine ›angespannte Situation‹ ist, in der sie sich gegenwärtig befindet?«
    Darauf gab der Mann keine Antwort. Offenbar antwortete er nur, wenn er wollte. Wenn er nicht wollte, überging er die Frage einfach, als sei das die normalste Sache der Welt. Aus irgendeinem Grund schien Tengo solche Menschen anzuziehen.
    »Also, heute Abend um sieben auf der Rutschbahn«, sagte der Mann.
    »Bitte warten Sie«, sagte Tengo hastig. »Ich habe noch eine Frage. Jemand hat mich gewarnt, ich würde beobachtet und solle auf der Hut sein. Entschuldigen Sie, aber haben Sie mich vielleicht beschattet?«
    »Nein«, antwortete der Mann sofort. »Der, der Sie beobachtet hat, war ein anderer. Aber Sie können nicht vorsichtig genug sein. Sie sollten die Warnung beherzigen.«
    »Besteht irgendein Zusammenhang zwischen dem Umstand, dass ich beobachtet werde, und Fräulein Aomames besonderer Situation?«
    »Etwas angespannter Situation«, berichtigte ihn der Mann. »Ja, ich glaube, es gibt einen Zusammenhang. Irgendwo.«
    »Besteht Gefahr?«
    Die Antwort ließ auf sich warten und kam so bedächtig, als würde der Mann verschiedenartige Bohnen sortieren, die durcheinandergeraten waren. »Wenn Sie die Möglichkeit, Fräulein Aomame nicht wiederzusehen, als Gefahr für sich bezeichnen würden, ja.«
    Wie er es gewohnt war, formulierte Tengo die etwas umschweifige Ausdrucksweise des anderen in Gedanken um, um ihn besser zu verstehen. Obwohl er die Hintergründe nicht kannte, verspürte er eine Atmosphäre von Dringlichkeit.
    »Wenn wir Pech haben, sehen wir uns also vielleicht nie wieder.«
    »Genau.«
    »Gut. Ich werde also auf der Hut sein.«
    »Entschuldigen Sie nochmals die frühe Störung. Sicher habe ich Sie geweckt.«
    Damit legte der Mann unvermittelt auf. Tengo starrte einen Moment lang auf den schwarzen Hörer in seiner Hand. Wie er es erwartet hatte, konnte er sich schon jetzt kaum mehr an die Stimme des Mannes erinnern. Tengo schaute wieder auf die Uhr. Zehn nach acht. Wie sollte er nur die Zeit bis sieben Uhr abends herumbringen?
     
    Er begann damit, dass er eine Dusche nahm und sich den Kopf wusch, um sein widerspenstiges Haar wenigstens einigermaßen in Form zu bringen. Danach rasierte er sich vor dem Spiegel. Putzte sich gründlich die Zähne und reinigte sie sogar mit Zahnseide. Er trank Tomatensaft aus dem Kühlschrank, erhitzte Wasser im Kessel, mahlte Kaffeebohnen, setzte Kaffee auf und toastete eine Scheibe Brot. Er stellte den Timer ein und kochte sich ein weiches Ei. Er konzentrierte sich auf jeden Handgriff und nahm sich bei allem mehr Zeit als sonst. Dennoch war es nun erst halb zehn.
    HEUTE ABEND TREFFE ICH MICH MIT AOMAME AN DER RUTSCHBAHN.
    Bei diesem Gedanken wurde ihm schwindlig, und alles begann sich zu drehen, sodass seine Arme, seine Beine und sein Kopf in verschiedene Himmelsrichtungen zu streben schienen. Er war außerstande, seine Aufmerksamkeit über längere Zeit auf einen Gegenstand zu lenken, und konnte sich, ganz gleich, was er anfing, auf nichts konzentrieren. Er konnte nicht lesen und natürlich auch nicht schreiben. Er konnte nicht an

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