1Q84: Buch 3
dort?«
»Wir schauen uns den Mond an.«
»Das ist sehr romantisch«, sagte Tamaru beeindruckt.
Kapitel 27
Tengo
Diese Welt allein genügt nicht
Am Mittwochmorgen riss das Telefon Tengo aus dem Schlaf. Er hatte bis zum Morgengrauen nicht einschlafen können und noch einiges von dem Whiskey im Blut, den er deshalb getrunken hatte. Er stand auf und bemerkte erstaunt, dass es schon helllichter Tag war.
»Tengo Kawana?«, sagte ein Mann. Tengo konnte sich nicht erinnern, die Stimme schon einmal gehört zu haben.
»Am Apparat«, sagte er. Aus dem ruhigen und dienstlichen Ton schloss er, dass es sich um weitere Formalitäten im Zusammenhang mit dem Tod seines Vaters handeln musste. Aber sein Wecker stand erst auf kurz vor acht. Keine Zeit, zu der eine Behörde oder ein Bestattungsunternehmen anrufen würde.
»Entschuldigen Sie, dass ich Sie so früh schon störe, aber es ist dringend.«
Eine dringende Angelegenheit. »Worum geht es?« Er fühlte sich noch benommen.
»Erinnern Sie sich an den Namen Aomame?«, fragte der andere.
Aomame? Restalkohol und jede Schläfrigkeit waren wie weggeblasen. Der Szenenwechsel, der sich in seinem Bewusstsein abspielte, war dramatisch und grundlegend. Tengo fasste den Hörer fester.
»Ja, natürlich«, antwortete er.
»Ist ja auch ein sehr seltener Name.«
»Wir waren auf der Grundschule in einer Klasse«, brachte Tengo mühsam hervor.
Der Mann machte eine Pause. »Herr Kawana, hätten Sie Interesse daran, hier und jetzt kurz über Fräulein Aomame zu sprechen?«
Tengo fand, dass der Mann sich ziemlich sonderbar ausdrückte, irgendwie markant, als würde er aus der Übersetzung eines Avantgarde-Stücks zitieren.
»Sollten Sie kein Interesse haben, verschwenden wir unsere Zeit. In dem Fall werde ich sofort auflegen.«
»Ich habe Interesse«, sagte Tengo hastig. »Aber darf ich fragen, in welcher Funktion Sie mich anrufen?«
»Ich habe eine Nachricht von Fräulein Aomame«, sagte der Mann, ohne auf die Frage einzugehen. »Sie möchte sich mit Ihnen treffen. Wie sieht es bei Ihnen aus, Herr Kawana? Würden Sie sich ebenfalls gern mit ihr treffen?«
»Ja, natürlich!« Tengo musste sich räuspern. »Ich wünsche mir schon sehr lange, sie wiederzusehen.«
»Gut. Sie will Sie sehen. Und Sie wollen sie also auch sehen.«
Tengo merkte plötzlich, wie ausgekühlt seine Wohnung war. Er griff nach einer Jacke, die in der Nähe hing, und hängte sie sich um die Schultern.
»Und was soll ich jetzt tun?«, fragte Tengo.
»Können Sie nach Einbruch der Dunkelheit zur Rutschbahn kommen?«, entgegnete Tamaru.
»Zur Rutschbahn?«, fragte Tengo. Wovon redete der Mann?
»Angeblich wissen Sie Bescheid. Sie möchte, dass Sie zur Rutschbahn kommen. Ich richte nur aus, was Fräulein Aomame gesagt hat.«
Ohne es zu merken, fuhr Tengo sich durch die vom Schlaf zerzausten Haare. Die Rutschbahn. Von dort habe ich mir die beiden Monde angesehen. Natürlich, sie meint die Rutschbahn.
»Ich glaube, ich weiß«, sagte er heiser.
»Gut. Dann weiter: Falls es etwas Wichtiges gibt, das Sie bei sich haben möchten, sollen Sie es mitnehmen. Weil Sie nämlich weit fortgehen.«
»Etwas Wichtiges, das ich bei mir haben möchte?«, fragte Tengo erstaunt.
»Eben etwas, das Sie nicht zurücklassen wollen.«
Tengo überlegte. »Ich verstehe Sie nicht genau. Bedeutet ›weit fortgehen‹, dass ich nicht mehr hierher zurückkommen werde?«
»So weit bin ich nicht informiert«, sagte der andere. »Wie gesagt, ich richte nur aus, was sie gesagt hat.«
Tengo überlegte, während er sich mit den Fingern durch die Haare fuhr. Fortgehen? »Ich nehme wahrscheinlich einen größeren Stapel Papiere mit.«
»Kein Problem«, sagte der Mann. »Was Sie mitnehmen, steht Ihnen frei. Allerdings sollte Ihr Gepäck es Ihnen ermöglichen, beide Hände frei zu haben.«
»Beide Hände frei zu haben«, wiederholte Tengo. »Das heißt, ein Koffer kommt nicht in Frage?«
»Ich glaube nicht.«
Es war schwierig, aus der Stimme des Mannes auf sein Alter, sein Aussehen und seine Statur zu schließen. Ihr fehlte jedes konkrete Merkmal. Wahrscheinlich würde er sich nicht mehr an sie erinnern, sobald sie aufgelegt hatten. Jede Eigenheit und jedes Gefühl waren sorgfältig daraus verbannt.
»Das war alles, was ich Ihnen zu bestellen hatte«, sagte der Mann.
»Geht es Fräulein Aomame gut?«, fragte Tengo.
»Körperlich geht es ihr hervorragend«, erwiderte der andere vorsichtig. »Aber sie befindet sich gegenwärtig in einer
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