1Q84: Buch 3
geraucht?«
»Haschisch?«
»Cannabis-Harz.«
Tengo sog die Nachtluft in seine Lungen und atmete tief aus. »Nein, noch nie.«
»Hast du Lust, es mal zu probieren?«, fragte Kumi Adachi. »Mit mir. Ich habe ein bisschen zu Hause.«
»Du hast Haschisch?«
»Sieht man mir auch nicht an, was?«
»Wirklich nicht«, sagte Tengo unverbindlich. Eine junge Krankenschwester mit gesunden roten Wangen, die in einer Kleinstadt an der Boso-Küste wohnte, bunkerte Haschisch in ihrer Wohnung. Und lud Tengo dazu ein, mit ihr zu rauchen.
»Wo hast du es denn her?«, fragte er.
»Eine Freundin aus der Oberschule hat es mir vorigen Monat zum Geburtstag geschenkt. Sie hat es als Souvenir aus Indien mitgebracht«, sagte Kumi Adachi und schwang lebhaft ihre und damit Tengos Hand.
»Haschisch zu schmuggeln ist ein schweres Vergehen. Die japanische Polizei versteht da keinen Spaß. Sie haben speziell ausgebildete Drogenhunde an den Flughäfen.«
»Ach, sie nimmt es nicht so genau mit solchen Kleinigkeiten«, sagte Kumi Adachi. »Jedenfalls hat sie es sicher durch den Zoll gebracht. Komm schon, wir probieren es zusammen. Es ist gute Qualität, kaum gestreckt. Ich habe ein bisschen nachgeforscht, vom medizinischen Standpunkt aus ist es nahezu unbedenklich. Man kann natürlich nicht behaupten, dass es gar nicht abhängig macht, aber es ist viel harmloser als Zigaretten, Alkohol oder Kokain. Die Behörden behaupten, es wäre gefährlich, weil man süchtig würde, aber das ist weit hergeholt. Da ist Pachinko viel gefährlicher. Man bekommt keinen Kater, und du könntest mal etwas Dampf ablassen.«
»Hast du schon mal probiert?«
»Natürlich. Macht Spaß.«
»Macht Spaß«, sagte Tengo.
»Probier’s, und du wirst sehen«, sagte Kumi Adachi und kicherte. »Wusstest du, dass die englische Königin Victoria bei Menstruationsbeschwerden immer Marihuana geraucht hat? Ihr Leibarzt hatte es ihr offiziell verschrieben.«
»Wirklich?«
»Ja, ehrlich. Habe ich in einem Buch gelesen.«
Er wollte schon fragen, in welchem, aber dann ließ er es. Außerdem hatte er keine Lust, näher auf die Menstruationsbeschwerden von Königin Victoria einzugehen.
»Du hattest also letzten Monat Geburtstag. Wie alt bist du denn geworden?«, fragte er, um das Thema zu wechseln.
»Dreiundzwanzig. Schon erwachsen.«
»Natürlich«, sagte Tengo. Er war dreißig geworden, fand sich aber nicht besonders erwachsen. Was waren schon dreißig Jahre auf dieser Welt.
»Meine Schwester übernachtet heute bei ihrem Freund. Das heißt sturmfreie Bude. Komm doch mit zu mir. Ich habe morgen frei und kann ausschlafen.«
Tengo suchte nach einer Antwort. Er fühlte sich spontan zu der jungen Krankenschwester hingezogen. Auch er schien ihr sympathisch zu sein, wenn sie ihn zu sich einlud. Tengo schaute zum Himmel, aber der war von dichten grauen Wolken bedeckt, und kein Mond war zu sehen.
»Als ich zum ersten Mal mit meiner Freundin etwas geraucht habe, weißt du«, sagte Kumi Adachi, »da hatte ich das Gefühl zu schweben. Nicht hoch, nur vielleicht etwa fünf oder sechs Zentimeter über dem Boden. Die Höhe fühlte sich genau richtig an.«
»Gerade so, dass man sich nicht wehtut, wenn man fällt.«
»Ja, genau. Ich fühlte mich total geborgen. Wie von einer Puppe aus Luft umgeben. Ich war eine Daughter, vollkommen von der Puppe umsponnen und konnte draußen ganz schwach die Mother sehen.«
»Daughter?«, sagte Tengo. Seine Stimme klang vor Überraschung hart und leise. »Mother?«
Ein Liedchen summend und lebhaft seine Hand schwenkend, zog ihn die junge Krankenschwester durch die leeren Straßen. Die beiden waren sehr unterschiedlich groß, aber Kumi Adachi schien das überhaupt nicht zu stören. Hin und wieder kam ein Wagen vorbei.
»Mother und Daughter. Das ist aus diesem Buch, Die Puppe aus Luft . Kennst du es nicht?«, sagte sie.
»Doch.«
»Hast du es gelesen?«
Tengo nickte stumm.
»Wie gut, dann brauche ich es ja nicht zu erklären. Also, mir hat das wahnsinnig gut gefallen. Ich habe es im Sommer gekauft und dreimal gelesen. Und dass ich ein Buch dreimal lese, ist selten. Als ich das erste Mal Haschisch geraucht habe, kam ich mir irgendwie vor wie in einer Puppe aus Luft. Ich wartete darin auf meine Geburt, geborgen und von der Mother behütet.«
»Du konntest also die Mother sehen?«, fragte Tengo.
»Ja. Ich konnte von innen nach draußen sehen. Anscheinend war die Puppe so konstruiert, dass man von außen nicht hineinsehen konnte. Aber das Gesicht
Weitere Kostenlose Bücher