1Q84: Buch 3
der Mother konnte ich nicht erkennen. Nur ihre Umrisse. Aber ich spürte, dass es meine Mother war.«
»Dann war die Puppe aus Luft im Grunde so etwas wie eine Gebärmutter, oder?«
»Ja, vielleicht könnte man so sagen. Allerdings erinnere ich mich nicht mehr, wie es in der wirklichen Gebärmutter war. Also kann ich keine exakten Vergleiche anstellen«, sagte Kumi Adachi und kicherte wieder einmal.
Sie wohnte in einem einstöckigen, billig gebauten Haus, wie man es häufig am Rande von Kleinstädten in der Provinz findet. Es schien verhältnismäßig neu zu sein, aber schon jetzt zeigten sich Spuren von Verfall. Die Außentreppe knarrte laut, und die Tür funktionierte schlecht. Sobald ein größerer Lastwagen vorbeifuhr, klirrten die Fensterscheiben. Man sah auf den ersten Blick, dass die Wände dünn waren, und wenn in irgendeiner Wohnung jemand Bassgitarre übte, hatte wahrscheinlich das ganze Haus etwas davon.
Tengo hatte eigentlich kein besonderes Interesse daran, Haschisch zu rauchen. Er lebte ja schon bei klarem Verstand in einer Welt mit zwei Monden. Wo war die Notwendigkeit, seine Umgebung noch weiter zu verzerren? Außerdem übte Kumi Adachi keine erotische Anziehungskraft auf ihn aus. Die dreiundzwanzigjährige Krankenschwester war ihm durchaus sympathisch, aber Sympathie und Sexualität waren zwei sehr verschiedene Dinge. Zumindest für Tengo. Wären nicht die Wörter Mother und Daughter gefallen, wäre er wahrscheinlich unter einem passenden Vorwand unterwegs in einen Bus oder, falls keiner mehr fuhr, in ein Taxi gestiegen und in seine Pension gefahren. Immerhin befand er sich in der Stadt der Katzen und musste gefährliche Orte meiden. Aber als er etwas von Mother und Daughter gehört hatte, war er nicht mehr imstande gewesen, Kumi Adachis Einladung abzulehnen. Vielleicht konnte sie ihm in irgendeiner Form zu der Einsicht verhelfen, warum ihm die Puppe aus Luft mit der mädchenhaften Aomame erschienen war.
Kumi Adachis Wohnung hatte zwei kleine Schlafzimmer. Essecke und Küche waren durch ein kleines Wohnzimmer verbunden. Es war unverkennbar, dass hier zwei junge Frauen lebten. Die Möbel wirkten zusammengewürfelt, und nichts wies auf ein Hobby oder bestimmte Eigenarten hin. Auf einem Resopaltisch in der Essecke stand eine für den Raum viel zu prächtige, falsche Tiffanylampe. Wenn man die mit kleinen Blumen gemusterten Vorhänge zurückzog, blickte man auf Felder und ein dunkles Dickicht dahinter. Die Aussicht war gut und unverstellt. Aber es war keine heitere, herzerwärmende Landschaft, die man dort sah.
Kumi Adachi ließ Tengo auf dem Sofa Platz nehmen. Es war ein protzig geformter, roter Zweisitzer, ihm gegenüber stand der Fernsehapparat. Dann holte sie eine Dose Sapporo-Bier aus dem Kühlschrank und stellte sie mit einem Glas vor ihn hin.
»Kleinen Augenblick, ich ziehe mir mal was Bequemeres an. Bin gleich wieder da.«
Aber sie kam und kam nicht wieder. Mitunter waren hinter einer Tür auf dem engen Flur Geräusche zu hören. Als würden schlecht gleitende Schubladen geöffnet und geschlossen. Ab und zu gab es einen dumpfen Aufprall, als sei etwas heruntergefallen. Jedes Mal fuhr Tengo unwillkürlich herum. Sie war wohl wirklich betrunkener, als er gedacht hatte. Durch die dünnen Wände drangen Geräusche eines Fernsehers aus der Nachbarwohnung. Man konnte nichts verstehen, doch alle zehn bis fünfzehn Sekunden ertönte lautes Publikumsgelächter. Tengo bereute es mittlerweile, die Einladung nicht abgelehnt zu haben. Doch zugleich spürte er in einem Winkel seines Herzens, dass es ihn fast unvermeidlich hierher verschlagen hatte.
Der Bezug des billigen Sofas kratzte. Auch war es so ungünstig geformt, dass Tengo, ganz gleich, wie er sich drehte und wendete, einfach nicht bequem darauf sitzen konnte, was sein Unbehagen noch steigerte. Er nahm einen Schluck Bier und griff nach der Fernbedienung, die vor ihm auf dem Tisch lag. Er betrachtete sie einen Moment lang wie eine Kuriosität, schaltete aber schließlich den Apparat ein.
Nachdem er mehrmals den Kanal gewechselt hatte, entschied er sich für einen Reisebericht über die australische Eisenbahn, weil diese Sendung auf NHK weniger lärmend war als die meisten. Im Hintergrund spielte jemand Oboe, während eine Sprecherin mit ruhiger Stimme die komfortablen Schlafwagen der transkontinentalen Eisenbahnlinie beschrieb.
Während Tengo von seinem unbequemen Sitzplatz aus die Bilder ohne große Begeisterung verfolgte, dachte er an
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